Tödliche Attacke beim CSD
Prozess gegen Nuradi A.: Der „beste Freund“ verzweifelt vor Gericht
Münster
Eine hochemotionale Aussage stand am Mittwoch im Mittelpunkt des dritten Verhandlungstags um die tödlichen Schläge beim Christopher Street Day in Münster. Mit tränenerstickter Stimme beschrieb der beste Freund des Angeklagten den Tat-Tag und den Angeklagten.
Sieben Monate haben sie sich nicht gesehen, weil Nuradi A. in Untersuchungshaft sitzt – doch als der 20-jährige Zeuge am Mittwochmorgen Saal A 23 des münsterischen Landgerichts betritt, wechseln beide kaum einen Blick. „Beste Freunde“, seien sie gewesen, er und der Angeklagte, den er bei der Vernehmung durch die Richterin nur „Herr“ und beim Nachnamen nennt.
In der zehnten Klasse hätten sie sich angefreundet. Nuradi A. habe ihm oft bei sprachlichen Problemen geholfen und nicht für Übersetzungen zehn oder 15 Euro genommen, wie andere Mitschüler es getan hätten. „Wir waren immer zusammen“, sagt er. Dass Nuradi homosexuell sein soll, habe er dennoch nicht gewusst.
Ein ganz normales Treffen unter Freunden
Am Tag der tragischen Tat, dem 27. August 2022, hätten sich die beiden in der Nähe des Hauptbahnhofs getroffen. Einfach nur so, wie eigentlich jeden Tag, einen besonderen Anlass habe es nicht gegeben. Zusammen mit einem dritten Bekannten seien sie in den Ortsteil Hiltrup gefahren, um Drogen zu besorgen, Gras und „Lyrica“-Tabletten.
„Lyrica“ als Droge
Zufällig ging es zum Christopher Street Day
Auf dem Rückweg hätten sie gesehen, dass am Hafen viel los ist: der Christopher Street Day. Die Freunde schauten vorbei, Nuradi habe da bereits etwa zehn „Lyrica“-Tabletten geschluckt gehabt. „Leider, leider, wirklich leider hat er Lyrica genommen“, sagte der Zeuge, sichtlich verzweifelt. Dann kam viel Alkohol dazu, Nuradi habe auf ex eine Flasche Wodka nachgekippt. Fatal: Vor der Kombination der Tabletten mit Alkohol wird ausdrücklich gewarnt.
Überhaupt der Alkohol: Nuradi habe zuletzt viel zu viel getrunken und sei dann immer sehr aggressiv geworden. „Schlägereien da, Schlägereien hier“, berichtete sein bester Freund – auch er sei dann nicht mit „Herrn A.“ klargekommen.
Zeuge verliert die Fassung
Als der Zeuge vor Gericht von der Tat berichten soll, verliert er die Fassung, hält sich immer wieder beide Hände vors Gesicht, zwingt sich sichtlich zu ruhiger Atmung und beginnt zu schluchzen. Sein Freund habe Frauen an der Straßen angesprochen. Was genau gesagt wurde, habe er nicht verstanden. Der Lärm, die Drogen. Wieder bricht er in Tränen aus. Er habe den Eindruck, es sei ein eher freundlicher Kontakt gewesen.
„Ich dachte, der haut uns beide kaputt"
Erst danach sei es zu der folgenreichen Begegnung mit dem späteren Opfer gekommen. „Malte kam auf uns zu“, beschrieb er die letzten Szenen vor den Schlägen. „Ich dachte, der haut uns beide kaputt. Aber ich wusste, dass Herr A. etwas von Kämpfen versteht.“
Es gab offenbar nur einen kurzen Wortwechsel. Wie der trainierte Hobby-Boxer zugeschlagen hat, habe er nicht gesehen. „Das nächste, woran ich mich erinnere – da lag Malte am Boden.“ Malte: der Transmann, der – soviel scheint nach den bisherigen Prozesstagen erwiesen – die Frauen beschützen wollte, die Nuradi angesprochen hatte. Er wurde von zwei Schlägen ins Gesicht getroffen, fiel bewusstlos hintenüber und starb sieben Tage später im Krankenhaus.
„Es tut mir alles so leid, auch für ihn“, sagt der beste Freund des Angeklagten. Doch als er aus dem Saal A 23 geht, dreht er sich nicht noch einmal um.
Tödliche Attacke auf Malte C. beim CSD in Münster
24. Februar 2023: Der Prozess gegen Nuradi A. wird fortgesetzt. Mehrere CSD-Teilnehmende schildern den Ablauf der Tat.
13. Februar 2023: Vor dem Landgericht beginnt der Prozess gegen den tatverdächtigen Nuradi A.. Der Angeklagte sagt unter Ausschluss der Öffentlichkeit aus.
16. November 2022: Die Staatsanwaltschaft Münster erhebt Anklage gegen einen 20-jährigen Tatverdächtigen. Der Vorwurf lautet auf Körperverletzung mit Todesfolge sowie Beleidigung in Tateinheit mit Bedrohung.
8. September 2022: Der tödliche Angriff am Rande des CSD in Münster wird Thema im Innenausschuss des NRW-Landtags.
7. September 2022: Nach der tödlichen Attacke erlebt das Boxzentrum Münster Anfeindungen. Der Tatverdächtige hat dort in seiner Jugend das Boxen gelernt.
4. September 2022: Nach dem Tod von Malte C. herrscht nicht nur in Münster Trauer und Entsetzen. Der traurige Vorfall löst ein bundesweites Echo aus. Nach und nach werden zudem Details zum 20 Jahre alten Tatverdächtigen bekannt.
2. September 2022: Nach der Attacke auf den CSD-Teilnehmer Malte C. erliegt dieser seinen schweren Verletzungen. Noch am selben Tag findet auf dem Prinzipalmarkt eine Kundgebung mit 5000 Menschen statt. Ebenfalls am Nachmittag wird ein 20-jähriger Tatverdächtiger festgenommen.
30. August 2022: Nach dem Angriff auf den CSD-Teilnehmer sind Wut, Bestürzung und Anteilnahme in Münster groß. Der Täter ist indes weiter flüchtig.
27. August 2022: Etwa 10.000 Menschen ziehen beim Christopher Street Day (CSD) in Münster durch die Innenstadt. Am Rande der Veranstaltung kommt es zu dem Zwischenfall, bei dem ein Demo-Teilnehmer schwer verletzt wird.
Sieben Monate haben sie sich nicht gesehen, weil Nuradi A. in Untersuchungshaft sitzt – doch als der 20-jährige Zeuge am Mittwochmorgen Saal A 23 des münsterischen Landgerichts betritt, wechseln beide kaum einen Blick. „Beste Freunde“, seien sie gewesen, er und der Angeklagte, den er bei der Vernehmung durch die Richterin nur „Herr“ und beim Nachnamen nennt.