Urteile gegen Kreml-Kritiker Nawalny
Politische Willkür in Russland
Jeglicher Kommentar zum Fall Nawalny könnte sich auf wenige Worte beschränken. Ja, die Urteile der Moskauer Justiz sind vom Kreml befeuerte politische Willkür. Punkt.
Doch die an den Haaren herbeigezogenen Anklagen wegen Verstößen gegen Bewährungsauflagen und Beleidigung eines Kriegsveteranen und die daraus resultierenden Verurteilungen müssen in der EU endlich wirkliche Konsequenzen haben. Die bisherigen Sanktionen haben Kremlchef Wladimir Putin nur müde lächeln lassen – er ist sich der Abhängigkeit des Westens von russischer Energie und dessen Interesses an dem Impfstoff Sputnik sicher. Er rechnet deshalb mit einer weichen Reaktion.
Aber am heutigen Montag tagt der EU-Außenministerrat – und er will „angemessene Reaktionen auf den Fall Nawalny“ besprechen. Will man nicht wieder als Papiertiger dastehen, müssen gezielte Maßnahmen gegen Einzelpersonen im Rahmen des neu geschaffenen Sanktionsinstruments zur Ahndung von Menschenrechtsverletzungen beschlossen werden. Und zwar auch gegen Einzelpersonen, die im Kreml sitzen. Einreiseverbote und Vermögenssperren sind vorgesehen. Wie viel Mut haben die Außenminister, wie nahe werden sie an den Zirkel um Putin herangehen? Oder steht gar der Ausschluss Russlands aus dem Europarat zur Debatte?
Während Putin in der nahen Vergangenheit sicher sein konnte, keine Störfeuer aus Washington zu seinem Unrechtsregime zu erhalten, hat sich die Lage nun geändert. Die Rhetorik der Biden-Regierung in Richtung Kreml ist scharf und unmissverständlich. In dieser Hinsicht könnte die EU sich ermuntert sehen, nun eine härtere Gangart einzuschlagen.
Im Herbst wird in Russland gewählt. Nawalny, der wichtigste Oppositionelle, ist nun aus dem Rennen, da er aller Voraussicht nach in Haft sitzen wird. Das Putin-Regime nutzt die aktuellen Proteste zur Propaganda: Nawalny und seine Anhänger werden als „Agenten westlicher Geheimdienste“ dargestellt. Da die Opposition in den staatstreuen Medien nicht widersprechen kann, wird diese Karte im Volk beharrlich gespielt – steter Tropfen höhlt den Stein. Das Schreckgespenst der Unterwanderung soll die Bevölkerung, die in den vergangenen Jahren im Alltag wenig von den versprochenen wirtschaftlichen Wohltaten gemerkt hat, wieder zusammenschweißen – ein Feindbild ist die Grundlage jeder populistischen Propaganda. Es lenkt vor allem vom eigenen Versagen ab.
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