1. www.wn.de
  2. >
  3. Münster
  4. >
  5. 10 000 Jahre Menschheitsgeschichte in der Speicherstadt

  6. >

Fundmagazin der Stadtarchäologie

10 000 Jahre Menschheitsgeschichte in der Speicherstadt

Münster

10 000 Jahre Menschheitsgeschichte lagern im Fundmagazin der Stadtarchäologie in der Coerder Speicherstadt – von der Feuersteinklinge aus der Steinzeit, die in Handorf entdeckt wurde, bis zum mittelalterlichen Keramikteller aus der Altstadt.

Martin Kalitschke

Archäologe Jan Markus präsentiert einen Keramikteller aus dem 18. Jahrhundert.   Foto: kal

Der erste Eindruck: Was für eine Stille! Nur das leise Streichen eines Pinsels ist im Fundmagazin der Stadtarchäologie in der Coerder Speicherstadt zu hören. Restauratorin Dorothea Habel führt ihn über einen Klotz aus Sanderde. „Leichenbrand“, sagt sie. Überreste einer Feuerbestattung, die vor 2800 Jahren in Handorf stattfand.

Mit unendlicher Geduld, größter Vorsicht und viel Feingefühl legt Dorothea Habel Knochenstückchen frei. Eine Woche wird es wohl dauern, schätzt sie, bis der Leichenbrand vom Sand gelöst ist. Danach wird sich ein Anthropologe die Knochen anschauen, Geschlechter und Alter des Verstorbenen bestimmen.

Hektik ist fehl am Platz

Im Fundmagazin ist Hektik fehl am Platz, wer hier arbeitet, braucht Ruhe, schließlich liegen hier wertvolle Relikte aus der münsterischen Vergangenheit auf dem Tisch. Feuersteinklingen, mit denen die Menschen vor 10 000 Jahren das Fell von erlegten Tieren lösten. Keramikschalen, die aus der Gründungszeit Münsters im neunten Jahrhundert stammen. Andenken an Pilgerreisen, die Münsteraner im Mittelalter bis nach Rom führten. Aber auch Gebrauchskeramik aus der Neuzeit, nicht unbedingt besonders wertvoll, aber dennoch wichtig, wenn man das Alltagsleben der „Münsteraner“ in jener Zeit rekonstruieren will.

Seit 2002 befindet sich das Fundmagazin in der Speicherstadt. In Schränken und Regalen werden die Funde der großen archäologischen Grabungen der vergangenen Jahrzehnte gelagert, Stubengasse, Königsstraße, Picassoplatz, Jüdefelderstraße, Drubbel, Überwasserkirchplatz. Der Gang durch das Magazin gleicht einer Zeitreise durch die münsterische Geschichte.

Steinzeitfunde aus Handorf

Jan Markus ist Archäologe und arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der städtischen Denkmalbehörde – er holt also die Funde ans Tageslicht und bearbeitet sie anschließend in Coerde weiter. „In den letzten Jahren rücken immer stärker Funde aus den Stadtteilen in den Mittelpunkt, denn dort nimmt die Bautätigkeit immer mehr zu.“ Sie stammen vor allem aus der Stein-, Bronze- und Eisenzeit, während bei Ausgrabungen in der Innenstadt meist Relikte aus dem Mittelalter und der Neuzeit ans Tageslicht kommen.

Die ältesten Objekte im Fundmagazin sind zugleich die unscheinbarsten. Wie Fragmente von Feuersteinwerkzeugen, die Ur-Münsteraner um 8000 vor Christus im Bereich des heutigen Handorfs herstellten – feste Siedlungen gab es damals nicht, die Menschen waren noch nicht sesshaft geworden. „Die ersten Nachweise von Pfahlbauten haben wir in Münster erst für das dritte Jahrtausend“, sagt Markus. Handorf ist aktuell eines der besten Pflaster für Archäologen in Münster, berichtet der Fachmann – neben der Hohen Ward im Süden der Stadt, wo ebenfalls Steinzeitfunde ans Tageslicht gekommen sind.

Den Entdeckergeist geweckt

„Ich hatte bereits als Kind ein Faible für die Archäologie“, erinnert sich der 42-Jährige. Mit seinen Eltern reiste er zu Ausgrabungsstätten im Mittelmeerraum, erkundete die Römerlager entlang der Lippe. „Da war bei mir der Entdeckergeist geweckt“, sagt Jan Markus. Ein Entdeckergeist, der freilich nichts mit den Schatzjagden von Indiana Jones zu tun hat. Fragt man ihn danach, was seine Lieblingsgrabung der vergangenen Jahre war, dann nennt er jene Fläche in Handorf, in der im vergangenen Jahr Dutzende, Jahrtausende alte Grabstellen ans Tageslicht kamen. Warum so bescheiden? „Wegen des hohen Alters der Funde. Und weil man bei dieser Grabung so gut Geschichte nacherleben kann.“

Das klingt ein wenig nach Emotionen, und ja, emotional kann die Arbeit im Fundmagazin in der Speicherstadt auch sein. „Als ich einmal eine Urne restauriert habe, da erkannte ich einen Rückenwirbel. Da wurde mir noch einmal deutlich, dass das die Überreste eines Menschen sind, mit denen ich mich beschäftige“, berichtet Ute Buschmann, Archäologin und ebenfalls Mitarbeiterin im Magazin. Und auch Dorothea Habel findet es zuweilen „berührend“, ihren Pinsel über menschliche Überreste zu bewegen. Bestattet werden solche Knochen nach der wissenschaftlichen Untersuchung übrigens nicht – das ist bei Funden aus der Vor- und Frühgeschichte nicht vorgesehen.

Startseite