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Belästigung beim Feiern

„Ich mag gar nicht mehr tanzen gehen“

Münster

Völlig unbeschwert feiern: das ist für viele Frauen nicht möglich. Für Partys frei von Belästigung und anderen Grenzüberschreitungen will das Nachtbürgermeister-Duo etwas tun – mit Maßnahmen, die Münsters Nachtleben drastisch verändern könnten.

Von Linda Schinkels

Ungewollte Berührungen, penetrante Blicke und herabwürdigende Sprüche gehören für viele Frauen zu den „normalen“ Schattenseiten des Feierns. Einblicke in ihre Erfahrungen habe einige WN-Leserinnen bei einer Umfrage auf Instagram gegeben.

„Wenn man nur mit Frauen in einer Gruppe ist, ist man absolutes Freiwild“, schreibt dort eine Nutzerin. „Man wird immer angefasst, es gibt blöde Kommentare etc., Luisa ist da nur die Spitze des Eisbergs“, eine andere. „Ich mag gar nicht mehr tanzen gehen“, eine Dritte. „Ich habe mich dabei erwischt, dass ich hier und da ein Grabschen hingenommen hab, hab das Gefühl, dass es leichter ist, als Stress zu machen“, eine weitere.

Lieber nüchtern unterwegs

Immer wieder geben Frauen an, dass sie bereits Opfer von K.-o.-Tropfen wurden, oder auf Partys Angst davor haben, welche verabreicht zu bekommen. Eine Strategie gegen die Unsicherheit: Kontrollverlust vermeiden – „ich bin im Club wahnsinnig ungern betrunken, weil ich mich meistens einfach nicht sicher genug fühle“.

Mit dem Themenschwerpunkt „Sexualisierte Gewalt“ wird unsere Redaktion in den kommenden Tagen und Wochen außergewöhnlich groß über das Thema berichten.

Andere fühlen sich hingegen sicher oder sogar sehr sicher. „In Münster, mit Freunden und auch allein, fühle ich mich sehr sicher, in anderen Städten nicht so“ schreibt eine von ihnen, „nicht unsicher, aber absolut genervt von den ekeligen Typen“, eine andere. „Der Nachhauseweg ist schlimmer“, meinen gleich mehrere. Die Antworten zeigen: Die meisten Leserinnen kennen Belästigung beim Feiern, das Sicherheitsgefühl ist aber individuell und je nach Situation sehr unterschiedlich.

Daten und Statistiken

Valide Zahlen zu Belästigungen beim Feiern gibt es nicht. Was nachts in den Clubs und auf Partys passiert, findet nur selten seinen Weg in die Statistiken. Vieles wird nicht angezeigt oder bewegt sich unterhalb der Schwelle des Strafbaren. Laut BKA-Studie aus dem Jahr 2020 werden insgesamt nur ein Prozent aller Sexualdelikte angezeigt. In Münster wurden nach Angaben der Polizei im Jahr 2022 117 Fälle von sexueller Belästigung angezeigt.

Einer Umfrage der Beratungsstelle Frauen-Notruf Münster e.V. mit rund 500 Teilnehmerinnen aus dem Jahr 2022 zufolge haben 81 Prozent der Befragten sexualisierte Belästigung erlebt. Tatort war in den häufigsten Fällen auf der Straße (knapp 25 Prozent), gefolgt von der Kneipe (15,6 Prozent). Ein weiterer Tatort ist laut Umfrage der öffentliche Raum, wozu neben Bus und Bahn, Supermärkten, Promenade und Aasee unter anderem auch „beim Feiern“ zählte.

Als Tatort der Belästigung, die am stärksten in Erinnerung geblieben ist, wurden in den häufigsten Fällen „sonstige Orte“ genannt, wozu unter anderem auch „beim Feiern“ zählte.

„Luisa ist hier“

In Münster hat die Beratungsstelle Frauen-Notruf Münster e.V. bereits 2016 die Kampagne „Luisa ist hier!“ auf den Weg gebracht, an der sich inzwischen 82 Städte, Landkreise und Regionen aus ganz Deutschland und dem deutschsprachigen Ausland beteiligen. In Münster machen über 50 Kneipen und Clubs mit. Wenn sich Frauen dort belästigt, bedrängt oder bedroht fühlen, können sie sich mit der Frage „Ist Luisa hier?“ an das Personal wenden, um unmittelbar und diskret Hilfe zu bekommen.

„Nur die Täter können verhindern, dass die Belästigung passiert. Aber wir können Betroffenen zeigen, dass sie ernst genommen werden“, sagt Gerlinde Gröger, Leiterin des Frauen-Notrufs. Gleichzeitig sei es eine Botschaft an die Täter, dass Belästigung in den teilnehmenden Clubs und Gastronomien nicht verharmlost werde. Dort hängen beispielsweise „Luisa ist hier!“-Plakate auf den Toiletten.

Nachtbürgermeister wollen mehr „Awareness“

Hilfe und Unterstützung für Betroffene vor Ort, Abschreckung von Tätern durch Haltung und Regeln – einen ähnlichen Ansatz für mehr Sicherheit beim Feiern verfolgen auch sogenannte Awareness-Konzepte.

„Awareness heißt für uns, einen achtsamen Umgang miteinander zu pflegen und zu fördern. Das bedeutet, die Grenzen der anderen zu respektieren und gegen Gewalt und Diskriminierung einzustehen.“ Lisa Marie Tubies und Manuel Rojano Marin führen dazu derzeit Gespräche mit den Club-Betreibern in Münster. „Man kann nicht sagen, dass die alle auf einem Level sind, aber es passiert schon viel“, schildert das Nachtbürgermeister-Duo seinen Eindruck.

Lisa Marie Tubies und Manuel Rojano Marin setzen sich für mehr Awareness in Münsters Nachtleben ein. Foto: Linda Schinkels

Aktuell gibt es zwei unterschiedliche Ansätze in Münsters Clubszene. Der eine sind mobile Teams, die von außen kommen und sich auf Partys als sichtbare Ansprechpartner unter die Feiernden mischen. Der andere Weg, den laut Münsters Nachtbürgermeistern viele Clubs favorisieren: das eigene Personal im Umgang mit Awareness-Themen wie Belästigung, Rassismus und Homo- und Transfeindlichkeit zu schulen.

Knackpunkt: Bezahlung

„Zweiteres hat den Vorteil, dass das eigene Personal die Architektur des Clubs, das Stammpublikum und das Club-Konzept kennt. Gleichzeitig hat das Thekenpersonal und die Security natürlich auch erst einmal andere Aufgaben“, so Tubies. „Es ist noch nicht die optimale Lösung. Es wäre aber ein erster Schritt.“

Eine Hürde ist laut Tubies das Finanzielle. „Bisher ist Awareness-Arbeit fast immer ehrenamtliche Arbeit und das bringt Probleme mit sich. Natürlich muss der Standard sein, dass man dafür bezahlt wird, wie für andere Jobs in der Party-Szene auch.“ Das Duo prüfe derzeit Möglichkeiten für Fördergelder für den Bereich.

Stadt will Schulungen anbieten

Schulungen für die Clubs will das Nachtbürgermeister-Duo künftig von städtischer Seite organisieren. Dazu würden aktuell Gespräche mit dem Arbeitskreis Awareness vom AStA der Universität Münster und einem neu gegründeten Awareness-Kollektiv in Münster mit dem Namen „Kollektiv Achtsamkeit“ geführt, sagt das Duo.

„Unsere Idee ist, dass wir erst einmal die Clubs abholen, indem wir Schulungen für das Personal anbieten und so das Bewusstsein für das Thema stärken. Wir wollen den Clubs nicht eine vorgegebene Struktur überstülpen, sondern unterschiedliche Optionen eröffnen. Dabei gibt es aber so ein paar Grundsätze, die nicht verhandelbar sind.“

Mindeststandards für Clubs

Einheitliche, verbindliche Awareness-Standards für die Clubs in Münster wünscht sich das Nachtbürgermeister-Team für die Zukunft. Diese Standards sollen im Gespräch mit der hiesigen Partyszene entwickelt werden. Ausnahmen sollen schriftlich begründet festgehalten werden.

Vorbild dafür ist die Stadt Leipzig. Dort hat die „Initiative Awareness“ solche Grundsätze bereits aufgestellt. Dazu zählen zum Beispiel für die Veranstalter ein klares Beschwerdemanagement und ein transparenter Umgang mit gemeldeten Vorfällen. Für Awareness-Teams gilt laut den Leipziger Richtlinien das Hausrecht, das heißt, dass sie Personen aus Clubs rauswerfen können. Auch eine faire Bezahlung ist festgeschrieben.

Was das bei Belästigung bringen soll

„Wenn im Club von Anfang an eine klare Haltung bezogen wird, ist es unwahrscheinlicher, dass es überhaupt zu Belästigung kommt. Dann werden Grenzen gesetzt und ich habe als Täter Sanktionen zu befürchten“, sagt Alexandra Vogel, Gründerin der „Initiative Awareness“ aus Leipzig. „Das ist etwas ganz anderes, als wenn es eine Kultur gibt nach dem Motto Das gehört beim Feiern dazu, das ist doch nur Flirten‘“.

Außerdem würden Besucherinnen und Besucher eher dazu ermutigt, einzuschreiten, wenn sie beispielsweise Vorfälle von Belästigung mitbekommen. Im besten Fall könne durch die unterstützende Reaktion des Umfeldes, etwa durch ein Awareness-Team, ein Trauma bei den Betroffenen verhindert werden. „Es ist auch schon ein Gewinn, wenn die belästigte Person sich nicht dazu gezwungen sieht, den Veranstaltungsort zu verlassen.“ Gäste würden zudem darin bestärkt, eigene Grenzen zu ziehen und zu kommunizieren.

Clubs begrüßen Pläne

Bei der Dockland GmbH, die die Clubs Fusion, Conny Kramer, Heaven und Coconut Beach in Münster betreibt, ist Awareness ein „Riesenthema, aber kein leichtes“, sagt Geschäftsführer Thomas Pieper. Vergeblich habe man versucht, ein eigenes Team auf die Beine zu stellen. „Uns fehlen aber die passenden Leute. Dafür braucht man gut geschultes, kompetentes, geeignetes Personal. Wer Awareness macht, muss sich seiner Verantwortung sehr bewusst sein“. Dass das nicht immer der Fall ist, hätten Erfahrungen mit Teams von Fremdveranstaltern bereits gezeigt. „Einige meinen wohl, man könne dann einfach umsonst feiern und nebenbei die Retterin oder den Retter in der Not spielen“.

Beim Docklands Festival im Juni werde laut Pieper auf Empfehlung ein externes Team aus Bremen im Einsatz sein. „Es ist gut und richtig, dass dem Thema mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird“. Dass die Clubs künftig stärker in die Pflicht genommen werden könnten, sieht er positiv. „Wir sind da sehr offen für“, sagt auch Sven Krützmann vom Amp in Münster zu einheitlichen Mindeststandards. „Es ist gut, dass das Thema seit Corona verstärkt auf die Agenda gerückt ist. Wir haben noch kein fertiges Konzept und suchen noch unseren Weg, sind uns unserer Verantwortung aber sehr bewusst.“

Achtsamkeits-Bude für die Altstadt?

Geht es nach dem Nachtbürgermeister-Team in Münster, soll es auf lange Sicht nicht nur bei der Zusammenarbeit mit Clubs bleiben. Idealerweise soll die Awareness-Arbeit irgendwann in einen Verein oder eine städtische Anlaufstelle überführt werden.

„Dann kann man die ganze Awareness-Sache noch einmal abseits der Clubs sehen. Beispielsweise an Karneval, am 1. Mai oder beim Stadtfest. Auch auf den Straßen, wo viel gefeiert wird, – in Münster sind es Kreuz- und Jüdefelderstraße – wäre es schön, eine feste Anlaufstelle zu haben“, sagt Rojano Marin. Und Tubies: „Wie wäre es beispielsweise, einen kleinen Raum in der Altstadt zu haben, wo es dann Ansprechpartner bei großen Veranstaltungen gibt?“

Weitere Informationen rund um unseren Themenschwerpunkt zu sexueller Belästigung und sexualisierter Gewalt gegen Frauen finden Sie auf unserer Special-Seite. Und unter folgendem Link steht das gesamte WN-Angebot vier Wochen kostenfrei zur Verfügung: wn.de/digitalbasis

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