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Interview mit der Band Milliarden

Bilder-Massaker im Kopf

Berlin/Münster

„Milliarden“ kommen nach Münster. So heißt die Band, die dank eines Auftritts bei Ina Müller, vor allem aber mit dem Song „Freiheit is ne Hure“ aus Oskar Roehlers Film „Tod den Hippies! Es lebe der Punk!“, bekannt geworden ist. Vergangenes Wochenende ist ihr Debütalbum „Betrüger“ erschienen. Nach kleiner Kneipentour und diversen Festivals, kommt die Band im November auch ins Sputnik-Café. Unser Redakteur Carsten Vogel sprach mit Ben Hartmann und Johannes Aue.

Carsten Vogel

Milliarden sind mehr als nur das Duo Johannes Aue und Ben Hartmann: Die Berliner Band kommt als Sextett im November nach Münster. Vergangenen Freitag ist ihr erstes Album erschienen. Foto: Peter Kaaden

Ist euer Bandname nicht doof zu googeln?

Ben Hartmann: Grundsätzlich ist das doch ein guter Kniff. Man findet erst einmal das Unheil der gesamten Welt. Und wer uns finden will, kann ja ein „Band“ ergänzen.

Im Rolling Stone stand die Rezension eines von mir geschätzten Kollegen, der leider euren Bandnamen mit dem Songtitel „Milliardär“ verwechselt hat. Ärgert euch sowas?

Johannes Aue: Vielleicht hat er den Albumtitel „Betrüger“ zu ernst genommen und wollte selbst noch etwas streuen, was nicht wahr ist (lacht).

Ben: Jeder Gute muss auch mal patzen dürfen (lacht).

Die musikalische Nähe zu Ton Steine Scherben ist nicht zu leugnen. Nervt euch der Vergleich jetzt schon?

Ben: (energisch) Ja (lacht)! Der wird oft gebraucht. Dabei ist es weniger die Musikalität als vielmehr die Energie oder der Dilettantismus, der sich gleichen könnte (lacht). Natürlich sind wir große Fans von Rio Reiser. Er ist aber auch ein wichtiger Bestandteil deutscher Pop- und Rockmusik.

Optisch gibt es meines Erachtens auch Parallelen...

Ben: Nee, er ist weder musikalisch, textlich noch optisch ein Vorbild. Aber er ist Teil unserer Sozialisierung...

Wie kommt die denn zustande? Ich bin ja mit Rio Reiser groß geworden, aber ihr?

Ben: Meine Eltern haben schon das eine oder andere Lied aufgeschnappt (lacht). Die Songs von Rio waren die erste gute deutsche Musik, die wir gehört, bevor wir dann die Neubauten entdeckt haben.

Hatten eure Eltern auch „Himbeereis zum Frühstück“ von Hoffmann & Hoffmann im Plattenschrank?

Ben: (singt „Himbeereis zum Frühstück“) Ich weiß, dass es das Lied gibt, aber als ich „Kokain & Himbeereis“ geschrieben habe, hatte ich es nicht im Hinterkopf. Als ich es dann aber meinem 18 Jahre älteren Halbbruder vorgespielt habe, hat der sofort (singt) „Himbeereis zum Frühstück“ gesungen und hat sich etwas darüber lustig gemacht. Himbeereis ist halt ein cheesy Wort.

Vollendet doch mal den folgenden Satz: Ton Steine Scherben ohne Rio Reiser ist wie ...

Ben: ... ein gut geführtes Unternehmen, weitergegeben an die nächste Generation.

Ich hätte gesagt: wie Apple ohne Steve Jobs.

Ben: Genau, bei dir hört man auch durch, dass es ein Unternehmen ist. Die T-Shirts wollen eben verkauft werden. Das ist befremdlich. Genauso wie das Bemühen alter Schlachtrufe und Slogans beim Livekonzert, die heute gar keine Anknüpfungspunkte mehr haben.

Johannes: Das ist eben Nostalgie.

Ist der Agitpop von einst also nicht mehr zeitgemäß?

Ben: Das kann man so nicht sagen. Man muss das im Kontext der Zeit betrachten. Das, was die Band politisch propagierte, hat sie nicht nur vertreten, sondern auch gelebt. Wenn man das heute wiederkäut, fühlt es sich an wie eine leiernde Platte.

Einstürzende Neubauten habt ihr gerade erwähnt. Und Blixa Bargeld ist ja eine Figur in dem Film, durch den ihr bekannt geworden seid.

Ben: Ein komplett anderes Genie, ein anderer Kopf und andere Geist als Rio Reiser, den ich in einem ganz anderen musikalischen Kosmos verorten würde. Der Mann ist ein Experiment an sich.

Rio eher leidenschaftlich, Blixa eher verkopft?

Ben: Vielleicht kann man das so sagen. Oder so: Blixa Bargeld mochte Heiner Müller auch ganz gern. Ich habe übrigens fast das Enkelkind von Blixa überfahren. Das ist übertrieben. Also ich bin letztens durch Mitte gefahren und da lief ein kleines Mädchen auf die Straße. Es war keine gefährliche Situation, ich musste nicht mal scharf bremsen. Und dann lief Blixa Bargeld – natürlich im Anzug – plötzlich auf die Straße, guckte mich ganz böse an und nahm das Kind von der Straße (lacht).

Bei eurem Lied „Blitzkrieg Ballkleid“ musste ich an „Blitzkrieg Bob“ der Ramones und an „We Didn‘t Start the Fire“ von Billy Joel denken. Bei Letzterem wegen des assoziativen „Namedroppings“.

Ben: Es ist auf jeden Fall ein Bilder-Massaker. Das aber immer im Refrain kulminiert, mit dem wir ausdrücken wollen, dass man sich von seiner Umwelt nicht freimachen kann. Für uns fühlt sich die Welt global an. Das Gute und das Schlechte passiert gleichzeitig: das Hungern in Afrika, während wir bei Penny und Netto einkaufen und Coca-Cola durch unsere Adern fließt.

Seht ihr euch eher als Duo oder eher als Band?

Johannes: Als Duo schreiben wir die Songs. Wir sind vielleicht der Kopf, aber es geht nicht ohne Band. Und wir haben das Glück, dass das unsere besten Freunde sind. Das hat sich so entwickelt, weil die anderen nebenbei auch noch arbeiten müssen.

Wie viele seid ihr auf eurer Tour?

Johannes: Wir sind zu sechst unterwegs. Wir haben noch einen Soundmann dabei.

Ben: Der genauso dazugehört.

Milliarden live

Donnerstag, 17. November, 20 Uhr, Sputnik-Café, Hawerkamp

Wart ihr schon mal in Münster?

Ben: Ja, natürlich. Das Fahrrad-Mekka Mitteleuropas (lacht). Wir haben bereits auf dem Hawerkamp-Festival gespielt. Wir nehmen uns immer vor, die Städte auf die Bandmitglieder aufzuteilen, sodass jeder einen kleinen Vortrag halten soll. Damit man von der Rundreise auch was im Kopf behält (lacht) ...

Johannes: ... und sich nicht nur die Autobahnraststätten merkt (lacht).

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