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Catcallsofmünster

Wie eine Gruppe von Frauen sexuelle Belästigung ankreidet

Münster

Was „sexuelle Belästigung“ konkret bedeutet, was sich Frauen anhören müssen, was einige Männer über die Lippen bringen – das dringt kaum an die Öffentlichkeit. Einen Eindruck kann sich machen, wer die Berichte von Frauen liest, die sich an Catcalls wenden.

Die Freiwilligen von Catcalls kreiden am Tatort die Belästigungen an, die Frauen in Münster erleben müssen. Foto: privat

Wenn Lotte etwas ankreidet, dann bückt sie sich nicht. Sie hockt sich hin und hüpft dann leicht nach rechts, um das nächste Wort mit Kreide auf den Beton zu schreiben. Zu oft hat sie schon erlebt, dass ihr Typen aus dem Auto „Geiler Arsch“ zubrüllen. Ausgerechnet. Denn Lotte und Doro gehören zur Initiative Catcallsofmünster, die die sexuelle Belästigung von Frauen öffentlich macht. Weltweit gibt es solche Gruppen, die Belästigung so ächten wollen.

Fast immer sind es Frauen, die den beiden Studentinnen schreiben, wo und wie sie von Männern belästigt wurden. Die beiden, die in Wirklichkeit anders heißen, gehören zu einem Kernteam von fünf Frauen, die sich um die gesamte Organisation kümmern. 40 weitere kreiden die Erlebnisse an: auf Straßen, im Bahnhof, auf Gehwegen. Oft da, wo die Tat stattgefunden hat. Manchmal auch woanders, weil Frauen Belästigungen in ihrer Wohnung oder bei der Arbeit erleben. Häufig müssen Lotte und Doro Sternchen verwenden, weil die Formulierungen, die Männer wählen, wenn sie Frauen belästigen, selbst für Asphalt und Beton zu grob und zu herabwürdigend sind.

Genugtuung für Opfer von Belästigungen

Allein Catcallsofmünster hat vergangenes Jahr 227 Belästigungen angekreidet und 146 Nachrichten erhalten. Dass sie mehr Fälle angekreidet haben als ihnen gemeldet wurden, hat mit dem Rückstau aus dem Jahr 2021 zu tun, den sie noch abbauen mussten. „Wir kommen kaum nach“, sagt Doro.

Mit dem Themenschwerpunkt „Sexualisierte Gewalt“ wird unsere Redaktion in den kommenden Tagen und Wochen außergewöhnlich groß über das Thema berichten.

Den Opfern bereitet es Genugtuung, wenn die Frauen von Catcallsofmünster ihre Erfahrungen ankreiden, erklärt Lotte. „Es sorgt dafür, dass die Belästigung gesehen und gehört wird.“ Und es biete ihnen die Chance, ernst genommen zu werden. Bevor der Bericht in der Öffentlichkeit landet, sprechen Lotte oder Doro oft mit den betroffenen Frauen, bestärken sie darin, dass ihre Wut berechtigt ist und trösten sie, dass sie so etwas erleben mussten.

Nicht die Schuld der Frau, sondern der Täter

Passanten muntern sie mal auf, gehen mal beschämt weiter oder latschen ungerührt über die bunten Buchstaben. Die beiden Frauen freuen sich, wenn sie aufgrund ihrer Mini-Berichte auf der Straße mit anderen ins Gespräch kommen. Doro fragt zwei ältere Männer, die die Texte lesen: „Hallo, sollen wir Ihnen dazu was erzählen?“ Einer von ihnen zuckt nur mit den Achseln. „Das versteht sich doch auch so von selbst“, sagt er. Er ist offenbar nicht stolz auf seine Geschlechtsgenossen. Ältere Frauen ermuntern die Frauen von Catcalls: „Wie oft habe ich im Bus gesessen und mich nicht gerührt, als mir Männer zu nah gekommen sind“, berichten sie dann. „Schön, dass ihr euch wehrt. Schön, dass ihr den Mund aufmacht.“

Nicht immer sind sich die Frauen von Catcalls und ihre Gesprächspartner so einig. „Einige Male habe ich mich schon richtig in die Wolle gekriegt“ sagt Lotte. Etwa, wenn Männer behaupten, dass eine Frau selber schuld sei, wenn ihr Rock zu kurz sei. Dann sei es „schon schwer, eine wertschätzende Diskussion zu führen“. Schließlich sei bei jeder Form von sexualisierter Gewalt nie die Frau Schuld, sondern immer nur der Täter.

Die häufigste Frage, die den beiden Frauen gestellt wird, lautet: „Ist das wirklich passiert?“ Knapp gefolgt von „Ist euch das passiert?“ Und immer verbunden mit dem Erstaunen, dass das genau hier geschehen ist. Es gibt aber auch die Frauen und Männer, die mit dem Protest nichts anfangen können, die Lotte und Doro vorwerfen, „Männer zu hassen“. Ein Passant hat ihnen mal vorgeworfen, mit ihrer Kreide die Umwelt zu verschmutzen. Dann beklagen sich Männer, dass sie überhaupt keine Komplimente mehr machen könnten. Darüber schüttelt Lotte nur den Kopf. „Das Ankreiden nimmt den Männern nichts, das ihnen nicht zusteht. Wir verlangen ja nur ein Minimum an Respekt.“

Kontakt: instagram.com/catcallsofmuenster

Weitere Informationen rund um unseren Themenschwerpunkt zu sexueller Belästigung und sexualisierter Gewalt gegen Frauen finden Sie auf unserer Special-Seite. Und unter folgendem Link steht das gesamte WN-Angebot vier Wochen kostenfrei zur Verfügung: wn.de/digitalbasis

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