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Philipp Riederle im Interview

Ein 19-Jähriger erklärt den Bossen die digitale Welt

Münster

Er ist gerade einmal 19 Jahre alt, doch all die Vorstände, Wirtschaftsbosse und Entscheider hören auf ihn: Philipp Riederle. Das Smartphone und das digitale Leben seiner Generation sind seine Themen, wenn er am Freitag in Münster spricht. Doch selbst er schaltet das Handy manchmal aus, verrät er im Interview.

wn

Mit Videofilmen im Netz, in denen er anderen sein iPhone erklärte, hat alles begonnen – inzwischen ist Philipp Riederle berühmt. Der erst 19-Jährige reist durchs Land und hält Vorträge, bei denen er Wirtschaftsvertretern seine Generation erklärt. Am Freitag spricht er als einer von drei Referenten beim Symposium der Alexianer-Don-Bosco-Klinik, das sich mit der Smartphone-Kultur befasst. Sein Thema: „24h online – das Kommunikationsverhalten der Generation Y“. Darüber sprach er vorab mit WN-Redakteurin Sandra Peter.

Die anderen Referenten werden über „Internet- und Computersucht im Jugendalter“ und „Entwicklungsgefährdungen durch elektronischen Medienkonsum“ sprechen. Wie wollen Sie da deutlich machen, dass „24 Stunden online“ nichts Schlimmes sind? Oder sind sie‘s doch?

Philipp Riederle: Klar ist die Digitalisierung ganz schlimm! Genauso schlimm wie der Straßenverkehr, die Eisenbahn oder die moderne Landwirtschaft. Weil dabei auch Unfälle und Bedienungsfehler passieren. Wer allerdings weiß, damit sinnvoll umzugehen, möglicherweise Regeln befolgt, für den bieten sowohl die drei letztgenannten, wie auch die Digitalisierung, unschätzbare Vorteile und Möglichkeiten. Und letztlich: eine großartige Steigerung der Lebensqualität.

Philipp Riederle Foto: Gunnar A. Pier

Für fast alle in Ihrem Alter gehört das Smartphone zum Alltag. Warum sind gerade Sie zum vielbeschäftigten digitalen Dolmetscher geworden?

Riederle: Im Grunde hätte es auch jeder andere werden können, oder kann es auch noch immer. Ich habe 2008 schlicht aus Interesse an der Thematik begonnen, regelmäßig einen Video-Podcast über das iPhone ins Netz hochzuladen. Dass dieser dann einmal so viele Zuschauer erreicht, zuletzt etwa 150 000 pro Ausgabe, und dazu führt, dass ich von Unternehmen eingeladen werde, hätte ich selbst nie gedacht. Die an mich herangetragenen Fragestellungen der Unternehmen nahm ich von Anfang an sehr ernst, es sind ja immer Fragen, über die ich selbst auch immer wieder nachdenke. Anfangs zum Beispiel: „Was sind die Faktoren, die Deinen Podcast so erfolgreich machten?“. So habe ich früh damit begonnen, mich substanziell mit den Themen um Social Networks, Digitalisierung und letztlich auch meine Generation zu beschäftigen. Also: viel lesen, viele Studien wälzen, mit vielen Professoren, Experten, Gleichaltrigen und Freunden sprechen.

„Da sind Manager, milliardenschwere Konzerne, Hunderttausende von Arbeitsplätzen, und die lassen sich beraten von so ‘nem Bürschle, da müssen Sie doch selber lachen, oder?“, hat Sie der Kabarettist Erwin Pelzig einmal gefragt. Müssen Sie?

Riederle: Na klar, das ist schon verrückt! Es wird allerdings so viel, so abstrakt über „die Jungen“ geredet und gefachsimpelt. Ich kann aus der Innensicht berichten. Und das inzwischen untermauert mit einem frischen Erfahrungswissen, „wie machen’s die anderen“, und einigen Zahlen, Daten und Fakten.

Was haben Sie verstanden, was die „Digital Immigrants“, die „digitalen Einwanderer“, wie Sie sagen, nicht verstanden haben?

Riederle: Im Grunde geht es bei der Digitalisierung nur um drei Veränderungen: Jeder von uns konnte schon immer, jederzeit, jederorts, innerhalb von Sekunden...: Erstens: Mit jedem anderen weltweit in Kontakt treten. Zweitens: Auf theoretisch jede existierende Information zugreifen. Drittens: selbst Inhalte, Ideen, Fragen weltweit publizieren. Wenn man über diese drei für uns Selbstverständlichkeiten nachdenkt, erkannt man schnell, wie sich diese auf uneingeschränkt jeden Lebensbereich auswirken. Wie wir uns verabreden, klar, wie wir uns informieren oder bilden, wie wir konsumieren, wie wir arbeiten, wie wir Beziehungen führen, und noch so vieles mehr, schlicht: wie wir leben. Zu den technischen Veränderungen kommt außerdem hinzu: Wir wachsen mit anderen Wertvorstellungen auf, die Technologien entwickeln sich andauernd weiter. Wirtschaftsexperten sagen, die aktuell vorgehenden Veränderungen seien einschneidender als die der Industrialisierung. Höchste Zeit also für Unternehmen, sich auf die Generation einzustellen, die die neuen Werte und Technologien im Blut hat, die Generation, die in zehn bis 20 Jahren nahezu 70 Prozent der Arbeitnehmer und Konsumenten ausmacht.

Kann man überhaupt sprechen von „der Generation Y“?

Riederle: Per Definition – was man aber eigentlich gar nicht klar definieren kann – gehören zu der Generation Y etwa die Geburtenjahrgänge von Mitte der 1980er bis Mitte der 1990er. Viel passender scheint mir aber die Bezeichnung der „Digital Natives“. Also all jene, für die das Digitale, das Internet, die Vernetzung von Kindes- oder Jugendalter an schon immer selbstverständlich war. Und genauso wie in jeder Generation zuvor gibt es auch bei uns die Leisen und die Lauten, die Starken und die Schwachen, die verschiedenen sozio-ökonomischen Schichten oder Sinusmilieus. Will heißen: je nach Typ oder Herkunft macht man sich die Neuerungen mehr zu eigen und nutzen oder eben weniger. Die Veränderungen an (technischen) Möglichkeiten, Rahmenbedingungen, treffen grundsätzlich aber auf uns alle zu.

Noch einmal zurück zum Titel Ihres Vortrags: Sind Sie 24 Stunden am Tag online?

Riederle: Es geht nicht darum, 24 Stunden ununterbrochen Facebook zu checken, die Nachrichtenseite zu aktualisieren und die virtuellen Kühe bei Farmville zu füttern. Sondern viel mehr um den Unterschied der Geisteshaltung in der Nutzung. Digital Immigrants „gehen ins Internet“. Wir sehen es als selbstverständlichen Bestandteil der Umwelt. Um erreichbar zu sein. In einer halben Stunden grillen am See mit zwölf anderen Freunden? Klar, ich bin dabei! Ach, Du auch gerade hier in der Stadt? Heute Abend in der und der Kneipe? Sicher!

Wann haben Sie das letzte Mal das Smartphone zuhause gelassen und es genossen, einmal unterwegs und nicht erreichbar zu sein?

Riederle: Gerade erst letztes Wochenende. Beim Wandern und Klettern in den Bergen. Wobei, ich muss ehrlich sein. Ich hatte es dabei. Im Flugzeugmodus. Zum Fotografieren und auf die Uhr schauen. Wenn ich Zeit mit meinen Freunden verbringe, meine Aufmerksamkeit einer Tätigkeit voll widme oder mich konzentrieren möchte, genieße ich es sehr, das Smartphone abzuschalten. Und das tue ich tatsächlich regelmäßig, täglich.

Ein paar Nachteile, das müssen Sie zugeben, hat die Smartphone-Kultur und ständige Erreichbarkeit aber doch auch. Wenn Zwei sich im Restaurant gegenübersitzen und einer ständig „nur kurz“ auf eine WhatsApp-Nachricht antworten will zum Beispiel. Geht Ihnen die Smartphone-Kultur manchmal auch auf die Nerven?

Riederle: Ich würde behaupten, es hat nichts mit „Vor-“ und „Nachteilen“ zu tun, wenn ein Teil der Bevölkerung gerade noch dabei ist, die adäquaten Umgangsformen zu finden. Smartphones sind in unserer Gesellschaft noch so neu, wie sollen denn gleich alle wissen, wann, wo und wie man diese sinnvoll einsetzt. Hier gibt es auffallende Parallelen zu jeder technologiegeschichtlichen Neuerung. Anfangs wird etwas überaus übermäßig genutzt, bis man den schieren, praktischen Nutzungszweck erkennt. Mittlerweile fallen mir allerdings immer weniger Smartphone-Restaurantbesucher auf. Es geht voran!

Sie bringen den Älteren bei, wie Ihre Generation kommuniziert und die neuen Medien nutzt. Was können Sie andersherum von denen lernen?

Riederle: Vor allem aus deren Schatz an Lebenserfahrung. Faktenwissen können wir überall abrufen. Praktisches Wissen, Erfahrungen, Erklärungen, Feedback, das gibt es nur von älteren Menschen. Die uns ernst nehmen und sich auf uns einlassen.

Vor einem Jahr haben Sie Abi gemacht und gesagt, dass jetzt ein Studium in Frage kommt. Kommen Sie überhaupt zum Studieren, so viel wie Sie unterwegs sind?

Riederle: Im Januar geht’s los! Soziologie, Politik, Ökonomie. Ich freue mich schon total, einen noch tieferen und weiteren Blick auf meine Lieblingsthemen zu bekommen. Hoffentlich in der Regelstudienzeit.

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