Organspende am UKM
Atmen mit neuer Lunge
Dass die Aussicht auf eine schwere Operation direkt mit einem Gefühl der Erleichterung einhergeht, ist sicherlich ungewöhnlich. Für Lars Bleimund war das so. Die Angst zu ersticken begleitete ihn drei Jahre Tag und Nacht.
Was seinen Sauerstoffbedarf anbelangte, war er sicherlich (Negativ-)Rekordhalter. „Vor seiner Lungentransplantation im Oktober 2017 benötigte er bis zu 14 Liter pro Minute“, sagt Dr. Karsten Wiebe, Leiter der Sektion Thoraxchirurgie und Lungentransplantation im Universitätsklinikum Münster (UKM). „Das ist sehr außergewöhnlich. Patienten, die zu Hause warten, benötigen in der Regel unter sechs Liter.“
300 Lungentransplantationen pro Jahr
Etwa 4000 Lungentransplantationen werden pro Jahr weltweit vorgenommen. In Deutschland sind es etwa 300. Zwischen fünf und zehn Organverpflanzungen dieser Art sind es etwa am Universitätsklinikum (UKM) Münster. Die moderne Medizin ermöglicht Operationen dieser Art etwa seit Ende der 80er Jahre. Anfänglich wurden mehr einseitige Transplantationen durchgeführt, heute werden für die meisten Indikationen beide Lungenflügel ausgetauscht. „Weil die Erfahrung gezeigt hat, dass das sinnvoller ist“, so Dr. Karsten Wiebe.
Lungenversagen
Bei einem endgültigen Lungenversagen, das eine lebenserhaltende Behandlung einfordert, erhalten die Personen nach eingehender medizinischer Überprüfung einen Platz auf der Warteliste für eine Organspende.
Die häufigsten Ursachen für Lungenversagen sind:
- Lungenfibrose - Vernarbung des Lungengewebes, vielfältige Ursachen, unter anderem können giftiger Staub und Lungenentzündungen beteiligt sein
- Chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) - entsteht durch entzündete und dauerhaft verengte Bronchien, häufig bei Rauchern
- Emphysem der Lunge, schwere Überblähung der Lunge mit Ausdünnung der Lungenstruktur
- Mukoviszidose - Angeborene Erkrankung der Drüsen, die anstelle von Flüssigkeiten zähen Schleim produzieren und somit häufige, schwere Lungenentzündungen verursachen
Aufwendige Re-Transplantation
Im vergangenen Jahr erhielt Lars Bleimund bereits seine zweite „neue“ Lunge. Im medizinischen Fachjargon: Re-Transplantation. Sie ist aufwendiger, weil die Ärzte dabei nach Wiebes Worten „auch an vernarbtes Gewebe müssen“.
2013 hatte sich der Bielefelder Patient – nach vierjähriger Krankheit – erstmalig einer Lungentransplantation stellen müssen. „Danach ging es mir richtig, richtig gut. Ich habe 50 Kilogramm zugenommen. Vorher wog ich gerade mal 55 Kilogramm“, blickt der 40-Jährige zurück.
Das unbeschwerte Leben war allerdings nur von kurzer Dauer. Nach einem Jahr kamen die Atembeschwerden zurück. „Möglicherweise lag es an einem Infekt“, erklärt der Facharzt. „Jedenfalls begann der Körper, die neue Lunge abzustoßen.“
Dreimal die Woche Sauerstofflieferung
Der Zustand des Patienten verschlechterte sich von Tag zu Tag. „Jeder Schritt wurde zur Tortur, wollte wohl bedacht und geplant sein“, macht er deutlich. „Treppen steigen? Unmöglich. Jeder Gang zur Toilette, jeder Weg in die Küche, sogar das Umdrehen im Bett verursachte Probleme.“ Irgendwann begleitete der Rollstuhl ihn durch den Alltag.
Lars Bleimund
Auch quälte ihn der ständige Psychostress: Habe ich ausreichend Sauerstoff zu Hause? Kann ich mich auf die Armaturenanzeige verlassen? Dreimal die Woche erhielt er eine Sauerstofflieferung. Aufenthalte außer Haus beschränkten sich auf eine Stunde. „Auch nur eine Minute ohne zusätzliche Sauerstoffzufuhr hätte für ihn den Erstickungstod bedeutet“, erklärt der Facharzt.
Lange Wartelisten
Beim ersten Mal hatte Lars Bleimund zwei Jahre, beim zweiten Mal zweieinhalb Jahre auf eine Organspende warten müssen. Denn: Die Wartelisten für Patienten wie ihn sind lang. Anhand der Patientendaten wird mithilfe des LAS-Systems (Lung Allocation Score) ein Punktwert festgelegt. Auf dessen Basis wird ein Listenplatz ermittelt. „Patientenverfassung, Alter und Prognose sind dabei wichtige Indikatoren“, erklärt der Mediziner. „Seine Körpergröße, die eine entsprechend große Lunge benötigt, und die etwas außergewöhnliche Blutgruppe B erleichterten hier nicht gerade die Suche nach einem geeigneten Organ.“
Kooperationspartner ist in diesem Fall die Stiftung „Eurotransplant“, die für die Vergabe von Spenderorganen in acht europäischen Ländern verantwortlich ist. Wird eine Organspende in Aussicht gestellt, ist schnelles Handeln angesagt. „Wir checken ab, ob der Patient infektfrei ist, ob es ihm gut geht, und bestellen ihn direkt hierher“, beschreibt Wiebe das Vorgehen.
Der erste eigene Atemzug
Als Lars Bleimund diesen Anruf bekam, war das für ihn wie Weihnachten und noch mehr als das. Die Nachricht verknüpfte sich für ihn mit der guten Perspektive auf ein unbeschwertes normales Leben. „Angst vor der Operation hatte ich keine. Ich hab einfach gedacht: Jetzt kann es nur noch besser werden“, berichtet der Patient.
Während sich die Lunge auf dem Transport befindet, erfährt der Patient schon die entsprechende Vorbereitung. „Im günstigsten Fall ist der Brustkorb dann schon geöffnet“, sagt Karten Wiebe. Der Zugang zum unteren Brustbereich erfordert die Durchtrennung des Brustbeins.
Lars Bleimund
Ob die Operation sechs Stunden oder mehr dauerte, ist dem Bielefelder nicht mehr in Erinnerung. Wichtiger und beeindruckender für ihn war die Tatsache, dass „der erste eigene Atemzug unbeschreiblich ist. Das kannte ich ja seit Jahren gar nicht mehr“.
Mittlerweile hat er 20 Kilogramm zugenommen und kann wieder seinem Hobby frönen: dem Fitnesssport. Allerdings muss er noch regelmäßig Medikamente einnehmen, sich wöchentlichen Kontrollen unterziehen und wegen der Infektionsgefahr möglichst Massenveranstaltungen meiden. „Aber im Vergleich zu vorher lebe ich jetzt ein ganz normales Leben“, freut’ sich der den Patient.
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