Stoffwechselkrankheit "Morbus pompe"
Auf die Beine kommen ist mühsam
Eine seltsam klingende Krankheit macht geschätzt mehreren Hundert Menschen in Deutschland das Leben schwer. Aufstehen etwa nach einem Sturz ist für Menschen mit Morbus Pompe (sprich: pompe) fast unmöglich. Und nachts müssen Patienten oft beatmet werden, weil das Zwerchfall zu schwach ist, um das Kohlendioxid aus dem Körper zu vertreiben.
Auf idyllische Schneelandschaften und Eisformationen verzichtet Sandra Schmit gerne. „Die Wintermonate sind für mich besonders heikel – wegen der erhöhten Sturzgefahr“, betont die 37-Jährige. Nicht, dass sie nicht romantisch veranlagt wäre. Schließlich hat die Hobby-Autorin aus Ladbergen im Selbstverlag schon mehrere Romane veröffentlicht. Damit sie ihren Alltag gut bewältigen kann, verlangt ihr eine neurologische Erkrankung hohe Aufmerksamkeit und sorgfältige Planung ab.
Sandra Schmit
Im November 2017 erhielt Sandra Schmit die Diagnose „Morbus Pompe“. Weltweit sind etwa 10 000 Menschen daran erkrankt. In Deutschland gibt es laut Schätzungen einige Hundert Erkrankungsfälle. Bei dieser genetisch bedingten Stoffwechselkrankheit wird der Abbau von Glykogen (ein in Muskel- und Leberzellen gespeichertes Kohlenhydrat) durch die Funktionsstörung eines Enzyms verhindert.
Mit den Symptomen, die auf diesen seltenen Gendefekt zurückzuführen sind, lebt Sandra Schmit seit zwanzig Jahren. Bis zu einem Alter von 13 Jahren war sie sportlich gerne aktiv. Sie spielte Fußball, liebte den Reitsport. Dann traten immer häufiger schmerzhafte Muskelkrämpfe und eine Kraftminderung vor allem der Beine auf. Das Laufen, Kniebeugen und Treppensteigen wurden ihr mehr und mehr zur Tortur. Untersuchungen in der Kinderneurologie und der Rheumatologie führten seinerzeit noch nicht zur Klärung des Problems, ebenso wenig wie gut gemeinte Ratschläge aus dem sozialen Umfeld: „Du musst mal etwas abnehmen, dich mehr bewegen.“ Darüber kann Sandra Schmit heute nur lächeln: „Das hätte auch nicht wirklich etwas geändert.“
Eine Augenentzündung brachte ihre erhöhten Leber- und CK-(Creatinkinase-Enzym)-Werte ans Licht, ohne dass dies zur genauen Ursachenfindung geführt hätte. Nachdem angesichts der fortschreitenden Lähmungen über lange Zeit nur klar war, dass es sich um eine Muskelerkrankung handeln musste, wurde die genaue Diagnose mithilfe einer Stoffwechseluntersuchung und eines Gentests letztlich erst 2017 am Universitätsklinikum Münster (UKM) gestellt.
Patienten, die mit dieser Einschränkung leben, fühlen sich oft erschöpft, schlapp und sind – aufgrund ihrer Muskelschwäche – bei Stürzen oft nicht in der Lage, sich alleine wieder auf die Beine zu helfen. „Bei erwachsenen Patienten steht die Schwäche der Beckengürtel-, Rumpf- und Schultermuskulatur im Vordergrund, oft ist auch das Zwerchfell betroffen, sodass bei Belastung Luftnot auftritt und eine nächtliche Beatmungstherapie erforderlich werden kann“, erklärt Privatdozent Dr. Matthias Boentert, Leitender Oberarzt am Institut für Schlafmedizin und Neuromuskuläre Erkrankungen des UKM.
Tatsächlich verwendet Sandra Schmit bereits seit 2009 nachts ein Beatmungsgerät. Damals hatte ein Lungenfunktionstest ergeben, dass ihr Kohlendioxid-Ausstoß im Schlaf nicht wirklich gut funktionierte. Nein, an ihrer Lunge lag es nicht. Vielmehr war bereits damals ihr Zwerchfell – der wichtigste Atemmuskel – nicht kräftig genug, um den notwendigen Austausch von Sauerstoff und Kohlendioxid zu gewährleisten. „Kann das CO2 nicht richtig abgeatmet werden, sammelt es sich im Blut an. Die Folgen davon sind Schlafstörungen, Müdigkeit, Kopfschmerzen und Erschöpfung“, gibt Boentert zu verstehen.
Sandra Schmit
Das Beatmungsgerät sorgt dafür, dass Sandra Schmit nachts ausreichend Kohlendioxid abatmen kann. Mal eben am Nachmittag im Liegestuhl ein Schläfchen einlegen sei für sie undenkbar. „Ohne das Gerät bekomme ich in der Horizontalen gar keine Luft“, sagt die Patientin.
Was Sandra Schmit im Alltag seit gut einem Jahr Erleichterung verschafft, das ist die Enzymersatztherapie, die den Glykogenabbau in den Körperzellen verbessert. Dafür erhält sie alle zwei Wochen für vier Stunden eine Infusion. Diese Therapie ist seit 2006 in Deutschland zugelassen und hat in Studien gezeigt, dass Gehfähigkeit und Atemmuskelkraft verbessert werden können. Seit Anfang des Jahres ist die Ladbergerin mit ihrer Therapie Teilnehmerin an einer klinischen Studie, die am UKM durchgeführt wird. Dafür macht sie sich alle zwei Wochen auf den Weg nach Münster. Gerne ist sie bereit, ihren Anteil dazu beizutragen, wenn es darum geht, diese Therapie zu verbessern, noch effektiver zu machen. „Schon am Tag danach geht es mir auch wirklich viel besser. Ich spüre, dass ich mehr Power, mehr Energie habe“, so ihre Erfahrung.
Devise: Gut auf sich achten
Ihr ist bewusst, dass diese Krankheit nicht heilbar ist, aber „man lernt, sich danach zu organisieren“. Mal eben auf einen Sprung in die Stadt ist nicht so einfach machbar. Kneipen, in denen sie sich mit Freunden verabredet, sollten Barrierefreiheit bieten. Es gilt die Devise: Gut auf sich achten. Nur nicht erkälten. Ruhe walten lassen. Keine Infekte riskieren.
Und: Sandra Schmit ist aktiv im Selbsthilfeverein „Pompe Deutschland“. Das dazugehörige Maskottchen „Hope“ – ein (Stoff-)Faultier – reist um die Welt, um Pompe-Betroffenen Mut und die Öffentlichkeit auf die Erkrankung aufmerksam zu machen. Es steht für die Langsamkeit, die die Patienten aufgrund ihrer Krankheit oft an den Tag legen müssen.
Morbus Pompe
… ist eine sogenannte lysosomale Speicherkrankheit und gehört zur Gruppe der Glykogenosen – hierbei handelt es sich um genetisch bedingte Stoffwechselerkrankungen, die zu einem gestörten Abbau und damit zu einer krankhaften Speicherung des Glykogens in verschiedenen Organen führen. Benannt ist sie nach dem niederländischen Pathologen Joannes Cassianus Pompe (1901-1945), der die Erkrankung erstmalig im Jahr 1932 beschrieb.
Sie trifft vor allem die Skelettmuskulatur und bei erkrankten Säuglingen auch das Herz. Glykogen ist ein Makromolekül, das insbesondere in Muskel- und Leberzellen eine Speicherform der Glucose (Traubenzucker) darstellt. Bei Patienten mit Morbus Pompe ist ein Glykogen abbauendes Enzym nicht funktionstüchtig. Der Zeitpunkt des Symptombeginns und der Verlauf der Erkrankung ist unterschiedlich und hängt wesentlich von der noch vorhandenen Restaktivität dieses Enzyms ab.
Allen Verlaufsformen gemeinsam ist eine Muskelschwäche, die unbehandelt zu einer fortschreitenden Lähmung im Beckengürtel-, Rumpf- und Schulterbereich, einer Gangstörung und meist auch zu einer Störung der Zwerchfellfunktion führt. Letztere kann eine mechanische Beatmungstherapie erforderlich machen. Im Alltag ergeben sich Probleme beim Treppensteigen, beim Aufrichten, beim Heben von Lasten und bei jedweder körperlichen Anstrengung, wenn die Atemmuskulatur in relevanter Weise mit betroffen ist. Die Diagnose trifft ein Kinderarzt oder ein Neurologe mittels einer Messung der Enzymaktivität und einer genetischen Untersuchung.
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