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Sonderveröffentlichung

Forschen & Heilen

Auf Trab gegen TRAPS

Münster

Rheuma wird oft mit alten Menschen verbunden, dabei sind in Deutschland auch 40 000 Kinder daran erkrankt. Die vielschichtigen Symptome und der fehlende Bekanntheitsgrad führen nicht selten zu einer verzögerten Diagnosestellung - mit erheblichen Folgeschäden für die Betroffenen.

Von Edina Hojas

Dr. Helmut Wittkowski kontrolliert Julius Wyrwa regelmäßig in der Ambulanz. Foto: Michael Möller

Von Geburt an musste Julius Wyrwa kämpfen. 40 Grad Fieber plagten seinen jungen Körper teilweise monatelang. Die Ärzte waren ratlos, die Eltern voller Sorge. Auf der Suche nach Antworten fuhren sie mit ihrem Kind durch ganz Deutschland. Erst kurz vor Julius‘ zweitem Geburtstag diagnostizierten Ärzte die autoinflammatorische Fieberschubkrankheit Traps (Tumornekrosefaktor-Rezeptor assoziiertes periodisches Syndrom) – eine Unterform des kindlichen Rheumas. Dabei kommt es zu einer Entzündungsreaktion (Inflammation), die scheinbar „von selbst“ (auto) auftritt. Weltweit gibt es etwa 200 diagnostizierte Fälle. Doch die Diagnose war für Julius erst der Anfang einer langen Leidensgeschichte.

Frage nach richtiger Therapie blieb lange unbeantwortet

Allgemein handelt es sich bei kindlichem Rheuma nicht – wie häufig bei den Erwachsenen – um Verschleißerscheinungen, sondern um entzündlich-rheumatische Erkrankungen mit autoimmunen Zügen. Einfach ausgedrückt: Das Immunsystem ist zu fleißig. Es richtet sich nicht nur gegen äußere Eindringlinge, sondern auch gegen körpereigenes Gewebe.

Während die Ursache von Kinderrheuma noch ungeklärt ist, weiß man bei TRAPS einigermaßen, was los ist: Grund für die Krankheit ist ein genetischer Defekt, ein mutiertes Gen. Dadurch werden Fehlinformationen an den Körper gesendet. Die Folge: Entzündungsreaktionen werden begünstigt und lösen verschiedene Symptome aus. Die Frage der richtigen Therapie blieb jedoch lange unbeantwortet.

Julius Wyrwas Symptome begannen früh

Bereits im Kindergarten litt Julius jeden Monat unter Fieberschüben, die ein bis zwei Wochen anhielten. Später fehlte er deshalb in der Schule. Ein paar Tage vor dem Schub spürte er schon, dass es losgeht. Die Gelenkschmerzen verschlimmerten sich, hinzu kamen Übelkeit und Hautausschlag. Und schließlich: eine überwältigende Müdigkeit. „In der Schule war ich dann nach der dritten Stunde völlig erschöpft“, erinnert sich der heute 18-Jährige. Das verursachen die Entzündungen. Sie entziehen dem Körper Energie. Im Laufe der Zeit traten die Schübe seltener auf, waren weniger intensiv.

Doch als Julius zehn war, verschlechterte sich sein Zustand drastisch. Die Entzündungen führten zu Schwellungen und letztlich zu einem Tumor. Um Krebs handelt es sich dabei aber nicht, sagt Professor Dirk Föll, Direktor der Klinik für Pädiatrische Rheumatologie und Immunologie am Universitätsklinikum Münster. TRAPS imitiere die Krankheiten, so Föll. Handeln müsse man trotzdem. Ein Tumor am Kehlkopf wurde operiert, entzündetes Gewebe im Magen-Darm-Trakt entfernt. 21 Operationen innerhalb von drei Jahren. Julius rang um sein Leben. Warum sich sein Zustand so plötzlich verschlechtert hatte, lässt sich nicht sagen. „Es zeigt, wie unsicher die Situation ist“, sagt Föll. Im Alter von 15 Jahren kam es zu einem Rückfall. Der Tumor im Kehlkopf wurde wieder aktiv. Julius musste erneut eine Kombination aus intensiver Medikamententherapie und Operationen über sich ergehen lassen, die in Münster und in der Schweiz durchgeführt wurden. Ein Resttumor ist auch heute noch da, ganz entfernen kann man ihn nicht. Und bei jeder Nachuntersuchung wieder der Gedanke: Hoffentlich entdecken sie nichts, hoffentlich ist es nicht schlimmer geworden.

Dank neuer Behandlungsweise ist heute vieles möglich

Es ist schwer vorstellbar, aber von den einstigen Strapazen sieht man dem jungen Mann mit dem dichten roten Haar heute nichts mehr an. Julius ist in einer stabilen Phase. Der letzte Fieberschub ist Jahre her. Manchmal hat er noch Gelenkschmerzen, aber ob die nun durch das Rheuma oder den Sport kommen, weiß er nicht. Julius spielt Handball, trainiert eine Mannschaft, ist Schiedsrichter. Sein Verein half ihm durch seine schwerste Zeit, organisierte sogar ein Benefizspiel, um Julius‘ Familie zu unterstützen. So konnten seine Eltern ihn in die Schweiz begleiten und bei ihm sein. Überstanden ist die Krankheit damit aber nicht. TRAPS ist unheilbar und kann nur durch zielgerichtete Medikamente kontrolliert werden. Früher seien die Menschen oft schwer geschädigt durchs Leben gegangen. Die dauerhafte, hoch dosierte Behandlung mit Kortison habe schwere Nebenwirkungen nach sich gezogen. Die heutigen Medikamente, sogenannte Biologika, greifen direkt in das Immunsystem ein und sind gut verträglich. Julius nimmt sie jeden Tag. Sie sind seine Lebensversicherung.

Heute lässt sich schnell feststellen, ob eine Genveränderung wie bei TRAPS vorliegt. Dazu reicht ein Blick in den genetischen Code, der im Blut abgelegt ist. Solche Gentests sind teuer, aber bei ausreichendem Verdacht können sie routinemäßig angefordert werden. Und dann heißt es: Gemeinsam handeln und „systemisch“, wie Föll sagt. Wenn jeder Arzt und jede Ärztin nur auf ein Organ schaut, ist den Patienten nicht geholfen.

Julius Wyrwa

Die Wahrnehmung der Außenwelt zeigt ein ähnliches Missverständnis. „Wie geht es voran mit dem Krebs?“, fragten ihn Mitschüler. Julius weiß genau Bescheid, hat viele andere über seine Krankheit aufgeklärt. „Aber wenn man die Leute nicht so gut kennt, ist es manchmal zu kompliziert, das zu erklären“, sagt er. Die ständige Erklärungsnot, die Sonderstellung, die fehlende Sorglosigkeit, die verpasste Zeit. All das lässt sich von außen nur erahnen.

Kinderrheuma Stiftung Sabine Löw

Julius Wyrwa ist Patientenbotschafter der neuen Kinderrheuma Stiftung Sabine Löw, die sich dafür einsetzt, dass Patienten mit Kinderrheuma ein unbeschwertes Leben führen können. Foto: Michael Möller

Statt sich unterkriegen zu lassen, ist Julius aktiv geworden. Er hat sich eingebracht, an die Presse gewandt, selbst Artikel geschrieben. Er will erreichen, dass weniger erforschte Krankheiten wie TRAPS mehr Aufmerksamkeit bekommen. In diesem Jahr hat Julius sein Fachabitur gemacht und auch für die Zukunft hat er bereits Pläne. Nach einer Ausbildung zum Sanitäter will er Medizin studieren.

Mit Blick auf die nächsten zehn Jahre hofft Föll auf die Forschung. Julius ist nun Patientenbotschafter einer neuen Stiftung, die genau hier den Fortschritt fördern will. Prof. Föll ist Kuratoriumssprecher der Kinderrheuma Stiftung Sabine Löw, deren Schirmherrschaft der Fernsehmoderator Jörg Pilawa übernommen hat. Sowohl Julius als auch Föll hoffen, dass der Bekanntheitsgrad seltener kindlicher Rheumaformen und die Behandlungsmöglichkeiten verbessert werden, damit die betroffenen Kinder in Zukunft ein möglichst unbeschwertes Leben führen können.

www.sabine-löw-stiftung.de

Schirmherr der Kinderrheuma Stiftung Sabine Löw ist der Fernsehmoderator Jörg Pilawa. Foto: dpa
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