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Sonderveröffentlichung

Forschen & Heilen

Das blaue Wunder

Münster

Ein sanfter Strahl kann dafür sorgen, dass Wunden heilen. Dr. Heinrich Rotering, Oberarzt der Klinik für Herz- und Thoraxchirurgie am Uniklinikum Münster (UKM), behandeltete Erika Austmann mit der Kaltplasma-Therapie - ihre chronische Wunde ist mit dem innovativem Therapieansatz ausgeheilt.

Von Marlies Grüter

Erika Austmann wird wegen einer Wundheilungsstörung mit der Kaltplasma-Therapie behandelt. Ihr Arzt ist Dr. Rotering aus der Herzchirurgie des UKM. Foto: Marlies Grüter

Wunden werden oft wenig beachtet, denn die Heilung scheint fast „automatisch“ zu funktionieren: Nach kleinen und größeren Verletzungen setzt der menschliche Körper alles daran, die entstandene Wunde aus eigenen Kräften wieder zu schließen. Ein komplexer Wundheilungsprozess setzt ein. Das kann durchaus Tage und vielleicht Wochen dauern. Geduld ist gefragt.

Wundheilungsprozess läuft nicht immer reibungslos

Aber Störfaktoren können den Prozess gefährden und das kleine Wunder der Heilung dauerhaft verhindern: Gerade bei tiefen Wunden, zum Beispiel nach chirurgischen Eingriffen, steigt die Gefahr, dass sich offene Stellen entzünden und Bakterien den Wundheilungsprozess unterbrechen – eine auch (gerade) in der Herzchirurgie, insbesondere bei Patienten mit implantierten Kunstherzen, immer wieder beobachtete Komplikation mit schlimmen Folgen für die Betroffenen.

Schon gewusst?

„Wundinfektionen nach Operationen sind schwerwiegende Beeinträchtigungen. Aus Sicht der Patienten ist das ein noch nicht zufriedenstellend gelöstes Problem. Wir müssen neben der Chirurgie des eigentlichen Kerngeschäftes die Wundversorgung mehr in den Blick nehmen“, so die Erkenntnis aus der Praxis in der Klinik für Herz- und Thoraxchirurgie des UKM. Heinrich Rote­ring, seit 1992 am UKM in der Herzchirurgie tätig, übernahm die Aufgabe, sich mit der postoperativen Wundheilung intensiv zu beschäftigen und machte die Wundversorgung zu seinem fachlichen Schwerpunkt. „Schnell habe ich eine echte Leidenschaft für dieses Gebiet entwickelt und festgestellt, dass es hier noch viel zu erforschen und zu entdecken gibt. Lange wurde der Wundheilung keine große Aufmerksamkeit geschenkt. Im Vordergrund stand die Weiterentwicklung der chirurgischen Möglichkeiten im Fachgebiet der Herzchirurgie. Aber mit neuen Erkenntnissen und innovativen Methoden kann die Wundversorgung ganz neu gedacht werden, mit großen Chancen zum Wohle der Patienten“, sagt Rotering. Eine bahnbrechende Neuerung ist die physikalische Kaltplasma-Therapie, die der Mediziner seit einigen Jahren in der Herzchirurgie am UKM anwendet.

Schonende Wundheilung durch Kaltplasma-Therapie

Was steckt hinter der Kaltplasma-Behandlung? Mit wenigen Handgriffen führt Rotering die physikalische Therapie vor und erläutert: „Das kalte atmosphärische Plasma ist wesentlicher Teil eines wirkungsvollen Behandlungskonzepts für komplexe Wunden in der Herzchirurgie. Das konnten wir nachweisen“, betont Rotering. „Wir behandeln die Patienten mit ionisiertem Gas, ohne die Wunde zu berühren. Unser Therapieziel ist die komplette Wundheilung auf schonende Art.“ Dazu wird im Behandlungszimmer mit einer speziellen Apparatur durch elektrische Anregung von Argongas physikalisches Plasma gewonnen. „Das Plasma ist ein ionisiertes Gas, das mit dem Luftsauerstoff reagiert. Dieser dringt dann als energieangereichertes Gas tief in die Wunde ein. Über die Sauerstoffradikale werden die Bakterien in der Wunde abgetötet. Gleichzeitig werden durch das Plasma die körpereigene Immunabwehr und die Wundheilung angeregt“, erklärt Rotering. Zu sehen ist ein bläulich schimmernder Plasmastrahl, der aus der Spitze des Plasmastiftes strömt. Auf der Haut ist ein leichter Hauch zu spüren. Das Plasma dringt schmerzlos durch die Hautschicht tief in das Gewebe ein. Bei einer Wundbehandlung wird der Plasmastift in gleichmäßigem Tempo einige Minuten in mäandrierenden Bewegungen über das Wundareal geführt. Nach Bedarf wird die Behandlung wiederholt. Nebenwirkungen sind nicht bekannt.

„Das Plasma ist ein ionisiertes Gas, das mit dem Luftsauerstoff reagiert“, sagt Dr. Heinrich Rotering. Der Sauerstoff dringe tief in die Wunde ein und töte die Bakterien ab. Foto: Marlies Grüter

Chronische Wunde ausgeheilt

„Die Behandlung selbst schmerzt nicht. Anschließend juckt es nur ein wenig im Wundbereich, und ich habe gemerkt, wie das Gewebe arbeitet“, beschreibt Erika Austmann ihre Erfahrungen. Die 65-jährige Bielefelderin ist am UKM mit Kaltplasma erfolgreich behandelt worden und zu einer Nachkontrolle in Roterings Sprechstunde gekommen. „Es ist mein Glück, dass ich hier am UKM aufgenommen worden bin“, sagt sie und erinnert sich an die schwere Zeit, die hinter ihr liegt. Eine Herzerkrankung machte der Ergotherapeutin im Frühjahr 2019 zu schaffen. Was folgte, war eine wahre Odyssee, die sogar ihr Leben bedrohte.

Nach einer Operation am Herzen und nachfolgend mehreren operativen Eingriffen in verschiedenen Krankenhäusern blieb eine offene Wunde im Brustbeinbereich, die aufgrund einer Infektion nicht heilen wollte. Zunächst wurde Erika Austmann auf eine Allergie hin behandelt, aber keine Behandlung brachte Heilung. „Ich wurde immer schwächer, alle Kräfte schienen mich zu verlassen“, schildert sie. „Ich konnte kaum noch laufen. Ohne die Unterstützung meines Mannes hätte ich die Zeit nicht durchgestanden.“ Die Infektion im Brustbeinbereich verschlimmerte sich noch durch einen gefährlichen, widerstandsfähigen Keim. Im Brustbein hatten sich dann über die Zeit zwei chronische Wundfisteln gebildet. Um die Infektion in den Griff zu bekommen, drohte die operative Entfernung des Brustbeins (Sternumresektion) mit allen damit verbundenen Einschränkungen.

Dr. Heinrich Rotering

Mit diesem Befund kam die Patientin im Mai 2020 in die Herz- und Thoraxchirurgie des UKM. „Die Sternumresektion wäre bei Frau Austmann ein sehr risikoreicher Eingriff gewesen, weil der Brustbeinknochen bereits mit dem Herzen verwachsen war“, berichtet Ro­tering. Deshalb schlug er für die Patientin eine alternative Behandlungsmethode vor: Die beiden Wundfisteln wurden operativ entfernt, ebenso das hinter dem Brustbein befindliche und mit dem Keim infizierte Fremdmaterial. Danach begann die Sanierung der Wunde mit Aktivkohle-Unterdruckverbänden und der Kaltplasma-Therapie. „Wir haben diesen gewebeschonenden Therapieansatz gewählt, und so ist es uns gelungen, bei Frau Austmann trotz der schwierigen Situation die Infektion in den Griff zu bekommen und das Brustbein zu erhalten“, erläutert Rote­ring.

Erika Austmann ist kein Einzelfall. „Mit dieser Behandlungsmethode konnten wir schon zahlreiche Sternumresektionen aufgrund von Wundinfektionen vermeiden. Mit der Kaltplasma-Therapie erhalten wir möglichst viel körpereigenes Gewebe. Brustbein retten, heißt Leben retten“, ist Rotering überzeugt. Die Vorteile liegen für ihn auf der Hand: weniger Operationen, kürzere stationäre Behandlungen und ein Gewinn für die Patienten. Weltweit gehört die Herzchirurgie am UKM zu den wenigen Zentren, die Sternuminfekte mit Kaltplasma erfolgreich behandeln. „Mir geht es wieder richtig gut“, berichtet Erika Austmann. Die Infektion ist besiegt, die Wunde ist verheilt, der Lebensmut zurückgekehrt.

Antibakterielle Wirkung weitergehend einsetzen

Die erwiesene Wirksamkeit der Kaltplasma-Therapie in der Herzchirurgie ist für Heinrich Rotering Ansporn genug, weiterzudenken und die Therapie perspektivisch am UKM und in einem Plasmazentrum am Marienhospital in Steinfurt-Borghorst zu etablieren sowie seine Erfahrungen weiteren Fachdisziplinen zur Verfügung zu stellen. Insbesondere die antibakterielle Eigenschaft des Kaltplasmas könnte in der Medizin noch weiter an Bedeutung gewinnen, meint Rotering. Die Wissenschaft beobachtet, dass Bakterien Resistenzen gegen Antibiotika entwickeln. Kaltplasma könnte eine Therapiemöglichkeit sein, die auf physikalischer Basis unabhängig von Resistenzen auch gegen sogenannte Problemkeime wie MRSA wirksam ist.

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