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Elektro-Impulse gegen Reizblase

Fuß an Blase: Beruhige Dich

Münster

Wenn Organe miteinander kommunizieren, kann das faszinierend sein. Darum nutzt der Urologe Dr. Fabian Queißert für seine Studien Erkenntnisse aus der traditionellen chinesischen Medizin. Bestimmte Fußnerven befinden sich in einem engen Kontakt mit der Blase. Er will prüfen, ob sich mit der Stimulation dieser Nerven auch die Harnblase beruhigen lässt.

Marlies Grüter

Ständiger Harndrang ist für Betroffene vor allem nachts ein Problem - aber auch Treffen mit Freunden werden mitunter schwierig, wenn die Blase ständig drückt. Foto: Christin Klose / dpa

Sabine Jablonski und Sonja Gerberding haben gut lachen. „Für uns hat ein neues Leben begonnen.“ Da sind sie sich einig. Den ersten Schritt in diese andere, unbeschwerte Zeit sind sie unabhängig voneinander gegangen. Jetzt freuen sich die beiden, dass sie nicht länger mit einem ständigen Harndrang leben müssen. „Wir sind Probandinnen der Uniklinik, wieder gute Freundinnen und haben jetzt unser Problem im Griff“, sagen beide Frauen voller Überzeugung. Zusammengeführt hat die 44-Jährigen aus der Grafschaft Bentheim eine Studie zur überaktiven Harnblase des Kontinenz- und Beckenbodenzentrums der Klinik für Urologie und Kinderurologie am Universitätsklinikum Münster.

„Letztes Jahr im September haben wir uns genau hier im UKM nach über 30 Jahren wiedergetroffen“, erinnern sich die früheren Grundschulfreundinnen noch gut. „Wir hatten beide einen Termin in der Urologie zum Erstgespräch bei Dr. Fabian Queißert. Da haben wir uns getroffen und festgestellt, dass wir mit demselben Problem zu kämpfen hatten, einer überaktiven Blase“, erzählen die Probandinnen.

Reizblase schränkt Lebensqualität stark ein

Ihre Reizblase und das häufige „Müssen-Müssen“ hat Sabine Jablonskis und Sonja Gerberdings Lebensqualität lange eingeschränkt. „Schon seit zehn Jahren schlage ich mich damit herum“, schaut Sonja Gerberding zurück. An längere Ausflüge, Autofahrten, Treffen mit Freunden oder Einkaufsbummel war kaum zu denken. „Irgendwann kennst du jede Toilette in der Stadt und planst schon danach“, berichtet sie. „Oder, was noch schlimmer ist: Du bleibst zu Hause aus Angst vor dem plötzlichen heftigen Harndrang und ungewolltem Urinverlust.“ Eine medikamentöse Behandlung und eine Blasenspiegelung konnten ihr nicht helfen. „Das war frustrierend. Ich musste wohl damit leben, wie viele andere auch“, beschreibt Sonja Gerberding ein Gefühl der Ohnmacht, das sich breitmachte. Sabine Jablonski hat ähnliche Erfahrungen gemacht. „Bei mir wurde die Reizblase besonders abends und nachts mit extremem Harndrang zum Problem. Die Nächte waren eine echte Qual. Der permanente Schlafmangel hat mich natürlich tagsüber stark beeinträchtigt“, sagt sie. Der ständige Gang zur Toilette machte auch Treffen mit Freunden schwierig.

Sabine Jablonski

„Die Blasenschwäche hat meinen Alltag bestimmt. Darüber reden konnte ich aber nicht“, sagt Sabine Jablonski.

Diese und ähnliche Schilderungen kennt Dr. Fabian Queißert, Leiter des Bereichs Neurologie und des Kontinenz- und Beckenbodenzentrums am UKM, aus vielen Patientengesprächen nur zu gut. „Egal, wohin sich die Betroffenen bewegen, sie müssen immer wissen, wo sich die nächste Toilette befindet“, erklärt der Facharzt. „Das bedeutet für viele einen erheblichen Verlust an Lebensqualität.“ Betroffen seien rund zwölf Prozent der Bevölkerung, Männer wie Frauen. Dennoch habe die Wissenschaft die überaktive Blase bislang eher stiefmütterlich behandelt, obwohl die Erkrankung weit verbreitet ist. Die Blase als komplexes Organ werde häufig unterschätzt, so die Erfahrung des Urologen. Kontrollieren könne der Mensch die Entleerung erst, nachdem er auch stehen, laufen und sprechen gelernt habe. Danach werde das Wasserlassen als Selbstverständlichkeit betrachtet. Bei Erwachsenen gerate die Blase nur dann in den Fokus, wenn sie nicht mehr funktioniere, sondern ständig quäle.

Grund genug für Fabian Queißert, sich intensiver mit der überaktiven Blase zu beschäftigen. Sein Ziel: eine Möglichkeit zu finden, den betroffenen Menschen mit einfachen Mitteln ein „normales“ Leben zurückzugeben. Ansatzpunkt seiner Studien sind Erkenntnisse aus der traditionellen chinesischen Medizin (TCM). „Aus der TCM wissen wir, dass ein bestimmter Fußnerv mit der Blase in einem engen Zusammenhang steht. Diese direkte neurologische Verbindung zwischen einem Nerv etwa in Höhe des Schienbeins und der Harnblase machen wir uns zunutze“, beschreibt Queißert. „Wenn der Fußnerv stimuliert wird, hat das einen beruhigenden Einfluss auf die Tätigkeit der Harnblase.“ In der Urologie gibt es schon eine entsprechende invasive, also operative Methode, die erfolgreich angewendet wird. Dazu wird ein Impulsgeber in den Fuß eingesetzt, der den betreffenden Fußnerv durch elektrische Impulse reizt und ihn so beruhigt.

Foto:

Elektrische Impulse sollen Blase beruhigen

Queißerts Idee geht hier einen Schritt weiter: Er sucht nach einer Möglichkeit, aus der aufwendigen und mit Risiken verbundenen operativen Methode eine einfache Behandlung für die Selbstanwendung zu Hause zu entwickeln. „Solch eine Therapie wäre ein echter Paradigmenwechsel gegenüber der medikamentösen Behandlung oder Operation“, sagt er.

Gemeinsam mit Experten einer Medizintechnik-Firma aus dem Münsterland wurde ein Neurostimulationsgerät für die Anwendung im Heimgebrauch modifiziert Die Hautelektroden des handtellergroßen Geräts werden außen auf den Fuß geklebt und senden von dort für nur wenige Minuten täglich elektrische Impulse aus, um die gereizte Harnblase nachhaltig zu beruhigen. In einer breit angelegten, placebokon­trollierten Studie wird nun die Wirkung der Methode wissenschaftlich überprüft.

Sonja Gerberding und Sabine Jablonski gehören nach einem Aufruf des UKM in den sozialen Medien zu den ersten Probandinnen, die den Neurostimulator getestet haben. „Als ich den Facebook-Eintrag des UKM zur Studie gelesen habe, war mein erster Gedanke: Das ist genau für mich geschrieben“, erzählt Sonja Gerberding. Sie schickte wie auch Sabine Jablonski direkt eine kurze Mail zum UKM und beide erhielten nach einem kurzen Vorgespräch am Telefon einen Termin zur Vorstellung. Als sich die Frauen am 25. September unerwartet am UKM trafen, war die Wiedersehensfreude groß – genau wie die Neugier auf die neue Behandlungsmethode.

Probandinnen sind überzeugt

„Hohe Erwartungen hatten wir nicht, aber einen Versuch war es uns auf jeden Fall wert“, berichten die Probandinnen im Rückblick. Nach zwölf Wochen praktischer Anwendung des Neurostimulators sind beide überzeugt: „Der Erfolg ist unglaublich bei minimalem Aufwand.“ Die tägliche Viertelstunde, in der Fuß und Blase kommunizieren, können beide problemlos in den Tagesablauf einbauen. „Einfach beim Fernsehen. Die Länge einer Nachrichtensendung reicht.“

Die drei vorgesehenen Studienvisiten am UKM haben sie gemeinsam wahrgenommen und Dr. Queißert von ihren Erfahrungen berichtet. „Ich bin letztens drei Stunden unterwegs gewesen, ohne auch nur an die Toilette zu denken“, freut sich Sabine Jablonski, und Sonja Gerberding bekräftigt: „Das normale Leben ist zurückgekehrt.“

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