Forschen & Heilen
Scharfsinnig auf der Spur des Schmerzes
Münster
Was die beiden Nobelpreisträger David Julius und Ardem Patapoutian vor 30 Jahren begonnen haben, setzen Esther Pogatzki-Zahn und ihr Team am Uniklinikum Münster fort. Sie erforschen das Schmerzgedächtnis des Menschen und wollen Wege finden, Patienten Schmerzen zu ersparen.
Vielleicht sind die Fans von thailändischem oder mexikanischem Essen gar nicht so hart, wie sie selbst meinen. Vielleicht ist die Zahl der Rezeptoren auf ihrer Zunge, die die Wirkung von superscharfen Chilis an ihr Gehirn weiterleiten, einfach nur viel kleiner als die anderer Menschen. Diese Rezeptoren sind es, die David Julius und Ardem Patapoutian erforscht haben. Sie werden dafür am 10. Dezember den Medizin-Nobelpreis bekommen.
Aus der Begründung des Nobelkomitees
Und Professorin Esther Pogatzki-Zahn, Schmerzforscherin in der Klinik für Anästhesiologie, operative Intensivmedizin und Schmerztherapie an der Uniklinik in Münster, nutzt die Erkenntnisse der beiden Männer, um durch weitere Forschung mit diesen Rezeptoren Patientinnen und Patienten weltweit zu helfen.
Die 52-jährige Oberärztin betreibt mit einem Team aus Biologen und weiteren Wissenschaftlern Grundlagenforschung und baut dabei auf den Forschungen der beiden zukünftigen Nobelpreisträger auf. „Wir versuchen, die Erkenntnisse der beiden in die Klinik zu bringen.“ So möchte sie zum Beispiel herausfinden, wie man Patienten nach der Öffnung des Brustkorbs etwa für eine Herz-OP Schmerzen ersparen kann. Denn ein Drittel von ihnen leidet an starken und lang andauernden Schmerzen, wenn sie operiert worden sind. „Ist Schmerz erst mal da, ist er schwer zu therapieren“, erklärt sie. Viel besser ist es, ihn zu verhindern.
Darum rät sie, so gewebeschonend wie möglich zu operieren. Das passiert schon mit der minimalinvasiven Chirurgie, bei der die Ärzte nur noch durch kleine Schnitte in den Körper eindringen. Hilfreich sind auch Operationen von Robotern, die zum Beispiel Nervenfasern erkennen und so programmiert werden können, dass sie die erst gar nicht durchschneiden. Pogatzki-Zahns Credo: so wenig Gewebe verletzen wie möglich.
Denn – und jetzt wird’s absurd – eine Arbeitsgruppe unter ihrer Leitung hat festgestellt, dass Mäuse, denen bei einer OP die Nervenzellen durchtrennt wurden, trotzdem schneller auf Schmerz reagierten als andere. Wenn Mäuse nicht über die Rezeptoren verfügen, passiert dies nicht. Die Mäuse sind „normal“. Die Erkenntnis: Der Körper versucht, die beschädigten Nervenzellen auszugleichen und „überreagiert“ dadurch. An den Enden der Nerven taucht dann plötzlich ein Vielfaches der Rezeptoren und Ionen-Kanäle auf, die die Information über Schmerzen an Rückenmark und Hirn transportieren. Auch bei Menschen führt diese Überempfindlichkeit dazu, dass Patienten Hitze spüren, obwohl ihre Nerven durchtrennt sind. Und nicht nur das: Obwohl nach einer Operation ihre Nervenfasern eigentlich nichts spüren dürften, empfinden Patienten dort plötzlich schmerzhaftes Kribbeln und einschießende Schmerzen. Ähnlich ergeht es Diabetikern, bei denen Zuckermoleküle die Nervenfasern beschädigten oder Patienten nach einer Amputation – seltsamerweise betrifft das aber nicht alle Patienten. Pogatzki-Zahn und ihr Team schauen, was genau nun die einen von den anderen Patienten unterscheidet und welche Rezeptoren und Ionen-Kanäle für welchen Patienten wichtig sein können. Den Ansatz fördert die Deutsche Forschungsgemeinschaft.
Ein Medikament ist mittlerweile auf dem Markt, das helfen kann: ein Schmerzpflaster, gegen die die Wärmepflaster bei Rückenschmerzen ein Witz sind. Ihre Intensität ist deutlich höher. Werden sie Betroffenen dort auf die Haut geklebt, wo es zum Beispiel auch lange nach einer OP noch ständig weh tut, verblasst der Schmerz für bis zu drei Monate. Pogatzki-Zahn erklärt, warum: „Der Wirkstoff, das Capsaicin, das natürlicherweise in Chilischoten vorkommt, dringt durch die Haut direkt an die übererregten Schmerzrezeptoren und führt dazu, dass die Übererregbarkeit für bis zu zwölf Wochen ausgeschaltet wird.“
Fortsetzung der Forschung von Julius und Patapoutian
David Julius
Nach den Erkenntnissen von Julius und Patapoutian gehen die Forschungen aber noch weiter. „Wir wollen verstehen, was passiert, wenn Ionen-Kanäle an oder aus sind.“ Denn Schmerzen verändern Körper. Sind Rezeptoren ganz lange eingeschaltet, aktivieren sie Hirnregionen. Darum verwenden Anästhesisten Narkose-Verfahren, bei denen die Nervenreize während und nach der OP gar nicht erst zum Gehirn gelangen können – indem sie etwa die Betäubungsmittel in der Wunde anwenden. „Wenn jemand Schmerzen hat, geht es nie nur um Ionen-Kanäle“, sagt die Medizinerin aus Münster. Schmerzen hätten immer auch einen psychosozialen Kontext. „Schmerz wirft im Körper das Schmerzgedächtnis an“, erklärt die Ärztin. „Immer wenn ein Schmerzimpuls das Gehirn erreicht, werden dort verschiedenste wichtige Areale aktiviert.“ Das signalisiert dem Betroffenen, eine ähnliche Erfahrung bloß nicht wieder zu machen, sich zu schützen und beim nächsten Mal anders zu handeln. Allerdings können diese Aktivitäten im Gehirn auch bei einigen Menschen dazu beitragen, dass Schmerzen bei ihnen chronisch werden.
Ardem Patapoutian
Chronifizierung von Schmerz möglicherweise verhinderbar
Die Forscher an der Uniklinik möchten wissen, was im Gehirn einen Patienten davon abhält, seine vielleicht auch schmerzhaften, aber nötigen Übungen nach einer Knie-OP zu machen und warum er stattdessen lieber auf der Couch liegt. „Wir haben schon Patienten verloren, die dachten, sie tun sich was Gutes, wenn sie sich nicht bewegen. Dabei ist das kontraproduktiv“, sagt Pogatzki-Zahn.
„Wir wissen, dass Schmerzen Menschen mit gewissen Eigenschaften nicht so beeinträchtigen wie andere.“ Dem gegenüber stünden die Katastrophisierer, die schon vor einem Eingriff überzeugt sind, dass sie mehr Schmerzen und Komplikationen haben werden als andere. „All das passiert im Gehirn“, erklärt die Schmerzforscherin. „Wir versuchen, die Hirnareale zu identifizieren, in denen der Körper den Schmerz abspeichert und wie die Verschaltung dieser Areale untereinander ist. Hierdurch versuchen wir herauszufinden, wie etwa Stress oder Katastrophisierung und Schmerz zusammenhängen. Dann können wir zum Beispiel Patienten mit bestimmten Methoden helfen, das Katastrophisieren in positives Denken umzulenken. Wenn man die Zusammenhänge vom Ansatz an den Nervenzellen bis hin zum Gehirn versteht, kann man in Zukunft nicht nur besser den Schmerz behandeln, sondern seine Chronifizierung vielleicht sogar verhindern.“
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