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Forschen & Heilen

Schere. Tupfer. Drucker.

Münster

Prof. Gosheger sieht Parallelen zwischen Operieren und Rennsport: „Die mentale Vorbereitung auf das Ereignis ist der Schlüssel zum Erfolg.“ „Körperliche und geistige Fitness auf maximalem Level“ sei bei beiden gefragt, so der Direktor der Klinik für Allgemeine Orthopädie und Tumororthopädie am UKM.

Von Marlies Grüter

„Eigentlich sind wir echte Handwerker“, sagen Professor Georg Gosheger und seine Kollegen Dr. Albert Schulze Bövingloh und Dr. Dr. Martin Schulze (von links). Foto: Marlies Grüter

Professor Georg Gosheger zieht den direkten Vergleich zu seiner Profession. „Wenn ich für dienstags eine große und komplizierte Operation auf dem Plan stehen habe, dann ist das Wochenende eigentlich gelaufen“, lacht Gosheger. „Meine Gedanken sind schon bei der OP.“ Den „Kurs“ muss er sich für jeden Patienten neu erarbeiten. „Kein Fall ist wie der andere. Jeder Befund ist anders beschaffen, immer neue Herausforderungen und ein Plus an Erfahrung“, erzählt Gosheger.

Spezialisten für kaum operable Tumorbefunde

Im März 2020 kam die Patientin Marlis Tinz aus dem Paderborner Land in die Tumorsprechstunde am UKM. Dauernde Schmerzen unterhalb des Schulterblattes machten ihr zu schaffen, aber alle vorherigen Untersuchungen brachten keine eindeutige Diagnose. „Über persönliche Kontakte wurde ich auf die Orthopädie an der Uniklinik Münster aufmerksam und habe schon einen schlimmen Befund erwartet“, erzählt sie in der Rückschau. Festgestellt wurde ein Tumor im sensiblen Umfeld des Rückgrates.

Ein Fall für die Tumororthopädie am UKM. Sie zählt zu den größten europäischen tumororthopädischen Zentren. Die Mediziner sind Spezialisten auch für Befunde, die als kaum operabel gelten. Die raschen Fortschritte in der Forschung und die moderne Technik machen inzwischen vieles möglich. „Wir haben nicht mehr die Riesenschnitte bei den Operationen, sondern wir bedienen neueste Präzisionsgeräte und operieren mit kleinsten Schnitten minimalinvasiv im Millimeterbereich“, erklärt Gosheger. „Wir werden sicher bald auch den Kollegen Roboter noch mehr einsetzen. Die Robotik bietet insbesondere in der Chirurgie noch ungeahnte Möglichkeiten“, ist sich Gosheger sicher.

3-D-Drucker kommt bei OP-Vorbereitung zum Einsatz

Was wie eine Erleichterung klingt, ist eine große Herausforderung für die Spezialisten am OP-Tisch. „Eigentlich sind wir echte Handwerker“, sagt Gosheger, und seine jungen Kollegen Dr. Albert Schulze Bövingloh, Sektionsleiter Wirbelsäulenorthopädie, und Dr. Dr. Martin Schulze, Leiter der experimentellen Orthopädie, stimmen ihm gerne zu. „Für die Vorbereitung auf die Operationen machen wir uns die allerneuesten Techniken zunutze“, erklärt das Trio. Was sie benötigen, kommt aus dem 3-D-Drucker. Das Besondere: Der 3-D-Drucker stellt ein Modell des Operationsumfeldes des Patienten her. Das Kunststoffmodell bildet ganz genau im Maßstab eins zu eins die jeweilige Situation des Patienten nach. So wird millimetergenau zum Beispiel die Wirbelsäule auch mit einem eingewachsenen Tumor oder einer komplizierten Fehlstellung sichtbar. Grundlage der Kon­struktion sind die bildgebenden Verfahren wie Computertomografie (CT) und Magnetresonanztomografie (MRT). Mit der digitalen Animation waren die Mediziner schon in der Lage, die Operation zu simulieren. Auch 3-D-Brillen kamen zum Einsatz, um virtuell die Operationssituation darzustellen. „Das war ein großer Fortschritt im Verfahren“, betont Gosheger. Es reichte aber noch nicht für die beste Formel-1-Vorbereitung. „Es fehlte uns die Haptik. Wir wollen das in der Hand haben, an dem wir arbeiten.“

Das Kunststoffmodell bildet ganz genau im Maßstab eins zu eins die jeweilige Situation des Patienten nach. So wird millimetergenau die Wirbelsäule auch mit einem eingewachsenen Tumor oder einer komplizierten Fehlstellung sichtbar. Foto: Marlies Grüter

Schulze Bövingloh zeigt am Kunststoffmodell die Herausforderungen, die das Team der Tumororthopädie bei Marlis Tinz bewältigen musste. Das Modell ist entstanden aus CT- und MRT-Bildern. Durch besondere Programmierungen ist es den Münsteranern gelungen, dass die Daten aus CT und MRT mit dem 3-D-Drucker kommunizieren und direkt vor Ort Modelle entstehen, mit denen die Vorbereitungen auf komplexe Operationen noch besser möglich sind. „Bei der schwierigen Lage des Tumors wäre es in der Vergangenheit kaum möglich gewesen, Frau Tinz zu operieren“, sagt Schulze Bövingloh. „Wir haben uns mit dem Modell der Patientin auf die hoch komplexe Operation gut vorbereitet und haben es geschafft, den Tumor und das umschließende Gewebe erfolgreich zu entfernen. Der erfreuliche Nachsorgebefund bestätigt, dass alles gut geklappt hat.“

„Mit der maßstabgetreuen Geometrie können wir uns nun bestens vorbereiten zum Beispiel auf komplizierte Wirbelsäulenoperationen. Wegen der dort verlaufenden Nervenstränge ist das eine sehr sensible Region“, beschreiben die Ärzte. Auch wenn am Becken ein Tumor entfernt wird, ist jeder Millimeter entscheidend, um das exakte Zusammenspiel mit dem Hüftgelenk zu ermöglichen.

Um beste Ergebnisse zu erzielen, hilft das Haptische des im 3-D-Drucker erzeugten Modells. „Wir begreifen im wahrsten Sinne des Wortes die vor uns liegende Operation“, erläutert Gosheger und nimmt das Modell eines Brustkorbs in die Hand. Zwischen den Rippenbögen ist ein großer roter Bereich zu sehen. „Ein wirklich schwieriger Fall“, sagt der Chirurg. Es handelt sich um einen Tumor, der eng am Rückgrat liegt. Gosheger weist auf einen länglichen Abdruck im roten Feld des Modells. „Hier liegt bei der Patientin die Aorta“, betont er.

Tumorpatientin Marlis Tinz (rechts) ist mit Tochter und Enkelkind ins UKM gekommen, um ihre Erfahrungen zu teilen und anderen Betroffenen die Angst zu nehmen. Foto: Marlies Grüter

Marlis Tinz ist erleichtert und spricht offen über ihre Erfahrungen. „Ich spreche viel über meine Tumoroperation, um den Menschen, die vielleicht die Nachricht erhalten, dass sie einen Tumor haben, der nicht operiert werden kann, zu ermutigen, sich eine zweite Meinung zu holen. Nicht den Kopf in den Sand stecken und aufgeben“, lautet ihr Appell.

Technikeinsatz ist die Zukunft im OP

Was bedeutet der Einsatz der 3-D-Modelle für die Patienten? „Formel eins, Sicherheit, Präzision und Schnelligkeit“, sagt Gosheger. „Am Modell bereiten wir uns optimal auf die Operation vor. Wir können Winkel anzeichnen, Positionen und Drehungen testen, das Sägen und Bohren üben und den exakten Schnitt festlegen, wo genau wir einen Tumor entfernen. Wir spielen im Team mehrere Varianten durch und entscheiden uns für die Methode, die für den Patienten genau die passende ist“, erklärt Schulze Bövingloh. „Der Vorteil für den Patienten liegt auf der Hand“, so Gosheger. „Die intensive Vorbereitung verbessert das Ergebnis. Aber mehr noch, sie verkürzt die Operationszeit um zehn bis 15 Prozent. Bei einer fünfstündigen Operation bedeutet das schnell mal eine Dreiviertelstunde bis eine Stunde weniger, die ein Patient in der Narkose ist.“ Und die Technik schreitet schnell voran: „Irgendwann wird es so sein, dass in jedem OP ein Drucker steht und wir während des Eingriffs in Minutenschnelle passgenaue Teile erstellen können“, blickt das Team in die Zukunft.

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