Aufräumen mit dem Münster-Mythos
Frauen-Notruf legt ernüchternde Zahlen vor
Münster
K.-o.-Tropfen, Vergewaltigungen und Belästigungen – in Münster genauso ein Problem wie in anderen Städten. Das zeigen Zahlen der Beratungsstelle Frauen-Notruf.
Die Zahlen, die Daniela Stöveken und Lina Lippke präsentieren, sind ernüchternd. 1.516 Mal haben sie Opfer sexualisierter Gewalt im vergangenen Jahr beraten. In den Köpfen hält sich zwar die Vorstellung von Münster als eine Stadt, wo irgendwie alles gut ist: viele Akademiker, gut betuchte Einwohner, wenig Kriminalität. Im Hinblick auf Gewalt gegen Frauen hat dies aber nichts zu bedeuten, wie ein Blick in den Jahresbericht des Frauen-Notrufs zeigt.
Hinter den Zahlen verbergen sich 332 Frauen und Mädchen, die im vergangenen Jahr das Angebot der Beratungsstelle in Anspruch genommen haben – ein Tausendstel der Stadtgesellschaft. Das mag auf den ersten Blick nicht allzu viel erscheinen, ist aber nur ein Teil der Wahrheit. Untersuchungen vergangener Jahre hätten gezeigt, dass lediglich etwa zehn Prozent der bekannten Opfer sexualisierter Gewalt ins Hilfssystem kommen, so Stöveken.
Nur ein Bruchteil der Delikte wird angezeigt
Die angezeigten Straftaten geben wiederum nur einen Bruchteil der tatsächlichen Delikte wieder. Verschiedene Studien legen nahe, dass auf jede angezeigte Tat zehn bis 20 kommen, die nicht erfasst werden. Diese geschehen oft im privaten Umfeld– auch die Zahlen aus Münster belegen das. Die Hälfte der Taten geschehen innerhalb von Ehe, Partnerschaft und Familie, während weitere 35,9 Prozent der Täter aus dem nahen sozialen Umfeld des Opfers stammen. Der Anteil der Taten, die auf der Straße, im Club oder Hörsaal begangen werden, ist vergleichsweise gering.
Nach zwei Jahren, in denen es coronabedingt weniger Gelegenheiten gab, hat sich auch der Missbrauch von K.-o.-Tropfen dem Ausmaß der Vorjahre angenähert. Bei 6,4 Prozent der Beratungen ging es um Vergewaltigungen im Zusammenhang mit K.-o.-Tropfen. Im Ganzen stellten Vergewaltigungen mit 67,2 Prozent den Großteil der Straftaten dar, aufgrund derer Frauen die Beratungsstelle aufsuchten.
„Münster-Mythos“: Hier passiert so etwas nicht
Daniela Stöveken spricht von einem „Münster-Mythos“. Das Image der Stadt verleite dazu, zu glauben, dass Probleme hier weniger virulent seien als in Duisburg, Berlin oder Frankfurt. „Das stimmt aber nicht“, sagt die Fachberaterin für Psychotraumatologie. Die Beratungsstellen in NRW arbeiten mit dem gleichen statistischen Modell. Daher können Stöveken und Lippke berichten, dass Münster im Vergleich mit anderen Städten weder besser noch schlechter dasteht.
Seit mittlerweile mehr als 40 Jahren setzt sich die Beratungsstelle für Opfer sexualisierter Gewalt ein. Im vergangenen Jahr feierten Stöveken, Lippke und ihre Kollegin Gerlinde Gröger, die vor 30 Jahren als erste hauptamtliche Mitarbeiterin beim Frauen-Notruf anfing, das Jubiläum. In den ersten zehn Jahren betrieben Ehrenamtlerinnen die damals rein telefonisch geführte Beratungsstelle. Nach wie vor leisten diese einen wichtigen Teil in der Öffentlichkeits- und Präventionsarbeit, während die drei Hauptamtlerinnen die Beratung übernehmen.
Diese wird hauptsächlich in den Räumlichkeiten an der Heisstraße angeboten, aber auch telefonische- und Online-Beratung sind Teil des Spektrums. Außer Opfern beraten Gröger, Stöveken und Lippke auch nahestehende Personen und Fachkräfte, begleiten Opfer bei Gerichtsverfahren, zum Arzt und zur Polizei.
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