Sexualisierte Gewalt
Mythen machen Frauen das Leben schwer
Münster
„Selbst Schuld, wenn sie so einen kurzen Rock trägt“: Werden Frauen Opfer von sexualisierter Gewalt, wird ihnen in vielen Fällen eine Mitschuld gegeben. Hartnäckig halten sich Mythen über die Gewalt. Wir rücken einige dieser Vorurteile zurecht.
Betroffenen Frauen wird häufig eine Mitschuld für die Gewalt gegeben, die ihnen angetan wird. Das klingt dann so: „Kein Wunder, wenn die da allein unterwegs ist“ oder „Selbst Schuld, wenn sie so einen kurzen Rock trägt.“ Katja Grieger, Geschäftsführerin des „Bundesverbandes Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe – Frauen gegen Gewalt e.V.“ (BFF), beschreibt, dass sich die Opfer von sexualisierter Gewalt „so unendlich allein und auch mitschuldig fühlen“, wenn sie sich auf einen Kaffee haben einladen lassen oder allein nach Hause gegangen sind und sexualisierte Gewalt erlebt haben.
Hartnäckig halten sich Mythen über die Gewalt, die Frauen angetan wird. Mit der Wirklichkeit haben sie nichts zu tun. Wir rücken einige dieser Vorurteile und Fehleinschätzungen zurecht.
Mythos 1: „Frauen lösen durch ihre Kleidung oder ihr Verhalten die Gewalt aus oder haben sie sogar gewollt.“
Das würde bedeuten, dass Frauen die Gefahr durch das eigene Verhalten kontrollieren könnten. So wird dem Täter die Schuld genommen und dem Opfer gegeben. Das ist „Victim Blaming“, eine Täter-Opfer-Verkehrung. Die Kölner Journalistin Beatrix Wilmes hat die Ausstellung „Was ich anhatte“ konzipiert, die unter anderem in Münster zu sehen war. Sie sagt: „Oft ist die erste Frage nach einer Vergewaltigung leider immer noch: ,Was hattest du an?‘ Dabei hat sexualisierte Gewalt nichts mit Kleidung zu tun. Das Problem ist nicht die Kleidung, sondern die ungleichen Machtverhältnisse von Männern und Frauen in unserer Gesellschaft.“
Mythos 2: „Nur bestimmte Frauen erfahren sexualisierte Gewalt.“
Die Opfer sexualisierter Gewalt sind nicht nur jung, sondern auch alt. Es gibt Frauen, die im Minirock vergewaltigt werden, aber deutlich mehr tragen einen Schlafanzug, wenn ihnen Gewalt angetan wird. Opfer sind Christinnen, Musliminnen oder Jüdinnen, deutsch, syrisch und australisch. Jede Frau und jedes Mädchen kann sexualisierte Gewalt erleiden. Überdurchschnittlich oft erfahren Frauen und Mädchen sexualisierte Gewalt, wenn sie behindert sind – und zwar zwei- bis dreimal häufiger als Frauen im Bevölkerungsdurchschnitt. Das hat die Studie „Lebenssituation und Belastungen von Frauen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen in Deutschland“ der Universität Bielefeld ergeben. Die Uni hat die Studie im Auftrag des Bundesfrauenministeriums durchgeführt.
Mythos 3: „Viele Frauen erheben falsche Beschuldigungen.“
Die meisten Betroffenen verzichten auf eine Strafanzeige nach einer Vergewaltigung, insbesondere, wenn der Täter aus dem engeren Umfeld stammt. Mit etwa 8000 angezeigten Vergewaltigungen jährlich befindet sich Deutschland im europäischen Vergleich im unteren Mittelfeld bei der Meldequote. Tatsächlich passiert es viel häufiger, dass den Opfern nicht geglaubt wird. „Der Mythos der ,Falschanzeigen‘ ist allmächtig und findet sich in nahezu jeder Berichterstattung wieder“, heißt es bei Terre des Femmes. Dabei seien gerade bei dieser Straftat die vorgetäuschten Gewaltdelikte gering: Schätzungen gingen lediglich von zwei bis -acht Prozent Falschanschuldigungen aus. „Das Klima für betroffenen Frauen ist viel schlechter als vor 20 Jahren“, meint Gerlinde Gröger, Leiterin der Beratungsstelle Frauen-Notruf Münster. „Jede Vergewaltigung ist ein schweres Trauma. Wenn den betroffenen Frauen dann auch nicht geglaubt wird, ist das noch besonders verletzend.“
Mythos 4: „Fremde ,gestörte Triebtäter‘ vergewaltigen Frauen in dunklen Parks und auf dunklen Straßen.“
Sexualisierte Gewalt wird selten von ganz fremden Männern verübt. Ein Großteil der Täter (über 80 Prozent) kommt aus dem unmittelbaren sozialen Umfeld der betroffenen Frauen oder Mädchen. „Der häufigste Tatort ist die Wohnung“, sagt Gröger. Einer Studie des Bundesfamilienministeriums zufolge sind öffentliche Orte in 20 Prozent der Fälle auch der Tatort. Und die Täter sind in der Regel keine „Psychopathen“, die ihren Trieb nicht kontrollieren können. Die Organisation Terre des Femmes meint, dass etwa fünf Prozent der Täter psychische Auffälligkeiten aufweisen.
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