„Treppe ins Ungewisse“ im Kleinen Bühnenboden uraufgeführt
Bedrückend und nachhaltig
Münster
Heiko Ostendorf recherchierte zu Euthanasie und Zwangssterilisation in der NS-Zeit. Er schuf aus historischen Dokumenten, Zeugenberichten und Gerichtsurteilen ein bewegendes Theaterstück für zwei Personen. Die Uraufführung machte betroffen.
Es ist ein Theaterabend, der aufrüttelt, nachwirkt und mahnt: „Uns alle hätte es treffen können.“ Dabei verharrt das Stück „Treppe ins Ungewisse“, das am Freitag im Kleinen Bühnenboden uraufgeführt wurde, nicht in der Vergangenheit: „Ist Hunger Grund genug, gerettet zu werden aus dem Mittelmeer?“ Heiko Ostendorf recherchierte zu Euthanasie und Zwangssterilisation in der NS-Zeit und schuf aus historischen Dokumenten, Zeugenberichten und Gerichtsurteilen ein bewegendes Theaterstück für zwei Personen.
Das Unheil begann schleichend mit einem Vokabular im 19. Jahrhundert von sogenannten Rasseforschern, die über „natürliche Auslese, Zuchtwahl, Entartung und Minderwertigkeit“ schrieben. Nach Hitlers Geheimbefehl wurden Tausende Menschen aus der Psychiatrie weggeschafft und vergast, Jugendliche zwangssterilisiert, ungeliebte Ehefrauen als krank verleumdet.
Beate Reker spielt in dem Stück die Staatsanwältin, die post mortem die Ärzte für ihre Handlungen anklagt. Dabei fordert sie ihren Assistenten, gespielt von Johan Schüling, bis zur emotionalen Erschöpfung. Ostendorf selber führte Regie und leitet während der Aufführung mit seinem Gitarrenspiel sensibel von Szene zu Szene.
„Das hier ist eine Suche nach Antworten, Fragen, Worten … nach Tätern und Opfern“, verkündet die Staatsanwältin, die immer wieder nach Worten für das unaussprechliche Leid und Unrecht sucht. „Die Menschlichkeit ist gescheitert“, verkündigt sie anfangs. Schwarz-weiß sind die Bühne, die Requisiten, die Kleidungsstücke, doch nicht das Denken: „Die Täter sind auch Menschen, auch wenn sie unmenschlich sind.“ Nach der NS-Zeit, nach Prozessen, teils nach Verurteilungen landeten die Ärzte wieder in guten Positionen, teils hochrespektiert und geehrt.
Heiko Ostendorfs Stück verdeutlicht, wie wichtig es auch heute ist, aufmerksam und achtsam zu sein, gerade gegenüber dem Sprachgebrauch. Eine Stunde lang bieten die Künstler zum Leben erweckte Zeitgeschichte, rütteln auf, schockieren, berühren durch die Gedanken und Zeugenberichte.
Ihnen gebührt große Anerkennung, dass und wie sie dieses Thema für die Bühne in Münster umgesetzt haben.
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