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„Solidaritot | Solidarnoc“ im Pumpenhaus

Bissige Geschichte der Solidarität

Münster

Um Anspielungen der direkten Art waren Yo-shiko Waki und Rolf Baumgart von Bodytalk noch nie verlegen. Für ihr Tanztheater „Solidaritot | Solidarnoc“, das in Zusammenarbeit mit den Polski Teatr Tańca entstanden ist und am Mittwoch im Pumpenhaus Uraufführung feierte, haben sie mehrere Dutzend Bierkästen der Marke Lech auf die Bühne gestapelt.

Helmut Jasny

Polski Teatr Tańca und Bodytalk Foto: Maciej Zakrzewski

Um Anspielungen der direkten Art waren Yo-shiko Waki und Rolf Baumgart von Bodytalk noch nie verlegen. Für ihr Tanztheater „Solidaritot | Solidarnoc“, das in Zusammenarbeit mit den Polski Teatr Tańca entstanden ist und am Mittwoch im Pumpenhaus Uraufführung feierte, haben sie mehrere Dutzend Bierkästen der Marke Lech auf die Bühne gestapelt. Damit ist die Verbindung zu Lech Wałęsa hergestellt, den Vorsitzenden der Gewerkschaft Solidarność, die im sozialistischen Polen den politischen Wandel einläutete. Und genau darum geht es in dem Stück.

Doch die Bierkästen sind nicht nur zur Assoziation da. Sie dienen auch als Showtreppe und als Podest, auf dem die Protagonisten flammende Reden halten. Später stapeln die polnischen Tänzerinnen und Tänzer daraus sogar noch einen eisernen Vorhang, durch dessen Lücke sie aus dem Sozialismus in den Kapitalismus springen – je nach Temperament und charakterlicher Veranlagung unterschiedlich schwungvoll.

Was Bodytalk und das Polski Teatr Tańca hier auf die Beine stellen, ist politisches Tanztheater, das mit starken Bildern und einer schier unerschöpflichen Energie überzeugt. Unterstützt von treibender Live-Musik, tanzt sich das Ensemble durch das Auf und Ab der polnischen Geschichte von den 1980er Jahren bis hinein in eine Gegenwart, in der von der einst so hoch gehaltenen Solidarität nicht mehr viel zu erkennen ist.

Es geht um Europa und um Geld, um alte und neue Ausgrenzung. Ein ukrainischer Tänzer in Polen und eine polnische Putzfrau in Deutschland kommen zu Wort. Ein schwuler Priester erzählt seine Geschichte und holt Zuschauer auf die Bühne, die keine Vorurteile haben. Halbnackte Tänzer formieren sich zu einem Happening, das in eine Gewaltorgie auszuarten droht, während ihre Kolleginnen als Gogo-Girls den Soundtrack dazu liefern. Der Versuch, das rote Solidarność-Logo auf ein Tischtuch zu malen, führt zu einer Farbenschlacht, bei der jeder gegen jeden kämpft – mit dem Ergebnis, dass gegen Ende der Vorstellung eine verschmierte Masse Mensch über die Bühne wabert und langsam verendet.

Von Bodytalk kennt man es, dass sie Innereien von Schlachttieren in ihr Spiel einbeziehen und dann zerfetzen. Diesmal sind es nur Salatköpfe, die zerrupft werden. Auch wenn die Gruppe jetzt vegetarisch geworden ist – ihren Biss hat sie damit nicht verloren.

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