Tilman Rademachers „Epilog – Über die letzten Dinge“ im Kleinen Bühnenboden uraufgeführt
Dem Wesen des Todes auf der Spur
Münster
Hier geht es um die letzten Dinge: Trauerredner Adam hadert zunehmend mit seinem Job, der ihn bis in seine Träume verfolgt und zermürbt. Tilman Rademacher, der auch den Text von „Epilog – Über die letzten Dinge“ verfasste, brachte eine beeindruckende Uraufführung auf die Bühne.
Der Tod ist sein Geschäft. Und über einen Mangel an Kundschaft kann er sich nicht beklagen, denn gestorben wird bekanntlich immer. Aber der Trauerredner Adam hadert zunehmend mit seinem Job, der ihn bis in seine Träume verfolgt und zermürbt.
Jeden Morgen steht Adam, dargestellt von Tilman Rademacher, der auch den Text von „Epilog – Über die letzten Dinge“ verfasste, vor derselben Aufgabe: Worte zu finden, die Trauer ausdrücken und Trost spenden, eine ihm zumeist unbekannte Person beschreiben und deren Leben würdigen. Stets ein kleines Schauspiel aufzuführen, ein Ritual, ein Jonglieren mit Phrasen, die mit der individuellen Erfahrung nicht in Einklang stehen. Adam könnte sich leicht in blanken Zynismus flüchten. Doch er wehrt sich gegen die Inhaltsleere und Austauschbarkeit, die der Tod offenbar allem und jedem verordnet. Spätestens als er einen Kindheitsgefährten beerdigt, muss er sich entscheiden: fromme Formel oder Wahrheit? „Er war ein Unmensch. Aber er war mein Freund.“
Zur Ergründung des Wesens von Leben und Tod führt Adam mit der virtuellen Assistentin „Lilith“ (gesprochen von Sarah Giese), die als blinkende Plastikdose auf einem Tischchen thront, sophistische, oft absurde Dialoge mit morbidem Witz. Der Computer kennt nicht nur die letzten Worte James Deans, bevor sein Porsche mit einem entgegenkommenden Ford kollidierte: „Der muss anhalten. Er wird uns sehen.“ Er spielt auch launige Musik wie Wolfgang Ambros’ „Es lebe der Zentralfriedhof“, um eine allzu grüblerische Atmosphäre aufzubrechen. Denn „alles hat seine Zeit“, besagt alte biblische Weisheit. Und manchmal ist es an der Zeit, zu tanzen.
Unter der Regie von Toto Hölters und vor Arnold Böcklins Gemälde „Die Toteninsel“ agierend, wechselt Tilman Rademacher geschmeidig und sinnhaft aufbauend zu zahlreichen Aspekten des seinen Protagonisten quälenden und die Menschen seit jeher bewegenden Themas. Gespickt mit Zitaten, die selbst Zuckmayers „Hauptmann von Köpenick“ zu einer kurzen, aber umso furioseren Wiederkehr aus dem Jenseits verhelfen, entsteht hier ein komplexes Puzzle. Frei nach Thomas Bernhards Bonmot „Es ist alles lächerlich, wenn man an den Tod denkt“, entpuppt sich „Epilog“ als ebenso nachdenkliches wie heiteres Spiel für die Lebenden. Auch dem tröstenden Gedanken der Transzendenz, der Überwindung des Todes, wird Rechnung getragen. In Form von Behältern für „die letzten Dinge“: einer traditionellen Urne und dem digitale Unsterblichkeit verheißenden Cloud-Speicher der in der Box wohnenden virtuellen Assistentin.
„Epilog – Über die letzten Dinge“, im Kleinen Bühnenboden mit tosendem Beifall bedacht, ist ein hochverdichtetes und doch, weil die Immensität des Gegenstandes es gar nicht anders zulassen kann, bewusst lückenhaftes Unterfangen. In diese Lücken ist das Publikum eingeladen, seine Erinnerungen und Erfahrungen zu legen.
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