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Zu schön für eine Dystopie

„Die vier Jahreszeiten“: Tanzabend von Paloma Muñoz und Lillian Stillwell

Münster

Antonio Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ bekommen in Münster nicht nur eine virtuos getanzte Choreografie, sondern auch einen Prolog und ein Vorspiel mit Klängen von John Cage.

Von Isabell Steinböck

Szene aus den „Vier Jahreszeiten“ mit dem Ensemble des Tanztheaters Foto: Bettina Stoess

Eine Tänzerin und zwei Tänzer drehen sich um eine Säule, formen mit den Händen Trichter, blicken mit imaginären Ferngläsern ins Nirgendwo. Was man hier im Foyer des Großen Hauses sieht, ist eine Wiederholung von Bewegungen, die ein Trio zuvor im Treppenhaus gezeigt hat. Die beiden Ensembles scheinen auf unsichtbare Weise miteinander verbunden, und auch das Premierenpublikum gehört bei dieser Uraufführung dazu. Über eine Etage hinweg beobachtet jeder jeden. Die Tänzer im Treppenhaus und im Foyer, Darstellende und Publikum gehören auf spannungsvolle Weise zusammen.

Eine Viertelstunde dauert der „Prologue“ des Choreografen James Vu Anh Pham (Sounddesign: Jackie Jenkins), dann wird es abstrakt. Stella Sattler und Jonathan Brügmann haben die Bühne mit nackten weißen Würfeln ausgestattet. Eine Betonwüste aus Treppen hinter durchscheinender Gaze, die im kalten Licht der Neonröhren leuchtet. Ein Tänzer biegt und windet sich im Rotlicht, weitere Figuren nehmen allmählich Kontakt zueinander auf. In der 30-minütigen Choreografie „The Station“ von Paloma Muñoz springen Tänzerinnen ihren Partnern in die Arme, liegen verdreht auf den Schultern, reiben auch mal die Nasen aneinander. Animalisch wirken Szenen, in denen sich eine Gruppe auf allen vieren fortbewegt oder wenn eine Gestalt – quasi gesichtslos – mit langen Haaren über die Bühne wirbelt. John Cages Musik „The Seasons“ tut sein Übriges, dieses Tanzstück in der Schwebe zu halten, im Programm ist zu lesen, es gehe um „ontologische Hierarchien“ – eine philosophische Betrachtung, die vieles offenlässt.

„Die vier Jahreszeiten“, das letzte Tanzstück des Abends, das mit 60 Minuten den Schwerpunkt bietet, ist großartig. Zur Musik von Antonio Vivaldi inszeniert Tanzchefin Lillian Stillwell eine dynamische, höchst anspruchsvolle Choreografie. In großen Sprüngen und mit hohen Beinen wirbelt das 14-köpfige Ensemble über die Bühne und übersetzt dabei musikalische Facetten, die das Sinfonieorchester Münster unter der Leitung von Thorsten Schmid-Kapfenburg virtuos zu Gehör bringt, in ästhetisch-schönen Tanz. Fließende zeitgenössische Bewegungen verbinden sich mit Pirouetten, die Tänzerinnen und Tänzer harmonieren als synchrone Gruppe ebenso wie in Pas de deux, wenn sie Emotionen wie Freude oder Wut zum Ausdruck bringen. Zwar gibt es Momente, in denen einzelne Figuren bewegungslos am Boden liegen, Szenen, in denen Körper, kopfüber getragen, wie leblos wirken, alles in allem ist diese Choreografie jedoch viel zu schön, um dystopisch zu sein.

Stillwell geht es um Umweltzerstörung, wenn sie an die Verantwortung der Menschheit erinnert, und sie nimmt doch durch Ästhetik für sich ein. Die Schönheit der Natur, noch ist sie da, der Tanz gibt ihr ein Gesicht. Das Publikum feiert die Umsetzung mit stehenden Ovationen.

Nächste Aufführungen am 21. und 30. März, 5. April

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