Alte Philharmonie im Waldorf-Konzertsaal
Durchs wilde Klassik-Kurdistan
Münster
Thorsten Schmid-Kapfenburg und die Alte Philharmonie Münster im Konzertsaal der Waldorfschule – das sind Abenteuer für Expeditionen durchs wilde Klassik-Kurdistan.
Gustav Mahlers aussortierter „Blumine“-Satz war eines „Titanen-Porträts“ für zu blumig befunden worden – und wurde vom Orchester rührend ausgespielt – inklusive des Ewigkeitszaubers eines Harfentons. In Ralph Vaughan Williams „Songs of Travel“ stapfen Bass-Ostinati über einsame Landwege, beschwören Flötenterzen vage Schönheit, riskiert der Triangel einen Wimpernschlag und ist das Pathos der Liebe nicht weit. Gregor Dalal umwarb englische Melancholie mit heldischer Verve und gestischer Suggestivität: Diesem Weltenwanderer der Seele waren Weisheit, Witz und Dämonie vom Gesicht anzulesen. Das „Home was home… full of kindly faces“ artikulierte Dalal mit der Zielsicherheit absoluter Gewissheit, glitt durch heikle Tonart-Rückungen in „Bright is the ring of words“ und schwebte im arkadischen „I have trod“ anmutig über segelnde Orchesterakkorde.
Wie ein Meer lag das Orchester vor dem Dirigenten: Man hätte beide für Überfülle instrumentalen Wohllauts vielleicht geschmäht. Dora Pejačevics Sinfonie fis-Moll mobilisiert Dramatik, Raserei und Lyrismus. Im Kopfsatz vagabundiert die Musik durch die Sonatenhauptsatzform, der stürmischen Exposition folgt eine stürmischere Durchführung, gleißende Blechbläser forcieren scharfe Zäsuren, durchs zweite Thema flattert Filmmusik-Flair. Die drastische Zeichengebung des Dirigenten zwischen Streicherfurioso, Hörnerschall und Beckenschlag signalisierte eine Musik unter passioniertem Hochdruck.
Pejačevics‘ Opus Magnum glich in instrumentaler Opulenz und seiner Majestät einem Bühnenbild, in dem Nähe und Ferne, Klarheit und Vision eine irritierende Atmosphäre bewirken. Das Thema des folgenden „Andante sostenuto“ floss ruhig vorüber, als wollte es sich wie unbemerkt aus der Partitur stehlen. Halsbrecherisch stürzte sich das Orchester ins gauklerhafte „Scherzo“, dessen Tempovorschrift „Allegro molto“ waghalsig ignorierend…. Hier hatte der Mann am Schlagzeug sich pausenlos nach den Becken zu strecken, um im nächsten Moment wieder ans Restinstrumentarium zu hechten: eine hintergründig artistische Leistung! Auch im Finale krachte es hemmungslos, aus anfänglichen Schemen tauchte das Hauptthema hervor wie ein Drache aus dem Nebel, Fanfaren der Trompeten flogen übers Orchester wie Wurfspeere. Dann raste das Orchester in die Stretta, dem rasenden Beifall des Publikums entgegen.
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