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Erst Ewigkeitssonntag und Christkönigsfest, dann Advent – und erst dann Weihnachten

Im Rhythmus der Zeiten und Feste

Münsterland

Alle Jahre wieder beginnt schon im Früh-Herbst die Weihnachtszeit. Das Gefühl für die passende Jahreszeit und den Gehalt der Feste ist bei vielen Menschen unserer Tage verloren gegangen. Aber es gibt auch positive Entwicklungen der Rückbesinnung auf die eigene Festkultur. Eine kleine kulturelle Betrachtung in dieser dunklen Corona-Zeit, in der alle auf ein Licht der Hoffnung warten.

Von Johannes Loy

Bis zum vorletzten Sonntag im November dominieren die Tage des Totengedenkens: Allerheiligen, Allerseelen, Volkstrauertag und Totensonntag. Foto: Patrick Seeger Foto: Patrick Seeger

Kürzlich habe ich in diesen trüben Novembertagen den ersten beleuchteten Weihnachtsbaum in einem Hausgarten in Münster-Albachten gesehen. Eigentlich reichlich spät, möchte ich ein wenig gallig sagen. Denn in den großen Kaufhäusern blinken ja schon seit den Herbstferien die Tannenbäume, Weihnachtsmänner und Rentiere. Im Laden um die Ecke türmen sich seit Sommerende Gewürzspekulatius und Dominosteine. Wahrscheinlich laufen die schon vor Weihnachten ab – oder kriegen so einen weißen Schimmer. Viele Kunden sind vermutlich schon pappsatt und verklebt davon. Advent und Weihnachten – immer und überall.

Weihnachten kommt immer zu früh

Alle Jahre wieder kommt Weihnachten zu früh. Und in Corona-Zeiten scheinen die Leute noch mehr Sehnsucht nach Weihnachtsmarkt zu haben als sonst. Wenigstens der Totensonntag wird noch abgewartet. Dann geht das Gedudel vom Endlosband los, und mittlerweile glimmen auch in Münster die bunten Leuchtschläuche. Früher hieß es mal „Münster leuchtet ins Land“. Man hatte sich auf dezente, indirekte Beleuchtung verständigt. Tempi passati.

Erst in einer Woche wird die erste Kerze am Adventskranz entzündet. Foto:

Apropos Weihnachten: Heinrich Böll, der spätere Literaturnobelpreisträger, hat das ewige Weihnachten schon 1952 aufgegriffen – in einer seiner treffenden Satiren. Titel: „Nicht nur zur Weihnachtszeit“. Da geht es um „Verfallserscheinungen“ in der Verwandtschaft des Ich-Erzählers. Diese nehmen ihren Lauf um Lichtmess 1947 herum, als sich die „Tante Milla“ des Erzählers partout nicht von ihrem Christbaum trennen will. Als das Bäumchen abgeschmückt wird und aus dem Wohnzimmer entfernt werden soll, beginnt ihre Trotz- und Schreiphase. Mediziner bleiben ratlos. Doch Onkel Franz, Gatte der Tante, findet die Lösung. Onkel Franz verordnet der Tante Milla eine „Tannenbaumtherapie“. Fort­an wird nun über zwei Jahre hinweg jeden Abend – also winters wie sommers – Heiligabend gefeiert. Mit allem Drum und Dran, also mit dem Baum, dem weihnachtlichen Bescherungsgefühl und einem „Frieden, Frieden, Frieden“ flüsternden Weihnachtsengel. Eine brüllend komische Geschichte. Heinrich Böll konnte nicht nur politisch böllern. Er beherrschte perfekt die kleine satirische Form.

Heinrich Bölls Weihnachtssatire

Diese weihnachtliche Satire ist heute fast schon Realität! Ob nun ewiger Advent, ständiges Weihnachten oder bunte Eier im Februar, viele Wochen vor Ostern. Wir sind schon mitten drin in dieser irren Zeitverschiebung. Oder auch in der Fest-Amnesie; denn wir wissen eigentlich kaum noch, wann wir was und warum wir überhaupt feiern. Leute treffen sich zum „Car-Freitag“ und posen mit heulenden Automotoren. Oder sie begehen Ostern als „Hasenfest“.

Der Autor dieser Zeilen bekam einst einen halben Lachkrampf, als zu Allerheiligen (1. November) an einer Kneipe in der Nähe des münsterschen Zentralfriedhofs der Hinweis „Fronleichnam ist unsere Gaststätte geschlossen“ zu lesen war. Der Inhaber hatte wohl „messerscharf“ von den gut besuchten und mit Grablichtern geschmückten Friedhöfen auf das Fest mit dem Wortbestandteil „Leichnam“ geschlossen und sich beim Festkalender glatt um ein gutes halbes Jahr vergaloppiert.

Halloween fiel diesmal aus

Nun mal etwas Aufhellendes: Das Halloween-Geplärre am Reformationstag fiel in diesem Jahr weitgehend aus. In Corona-Zeiten kommt so was an der Haustür nicht so gut an. Da zieht man sich ins Haus zurück. Ebenfalls lobenswert: In den öffentlich rechtlichen Sendern wurde wieder an Reformationstag und Allerheiligen erinnert. Kurz und knapp und kundig. Auch das Fest Buß- und Bettag, 1995 für die Finanzierung der Pflegeversicherung abgeschafft und heute nur noch in Sachsen Feiertag, kam in einigen Gottesdienstbildern aus der Peterskirche in Görlitz vor.

Weihnachtsmarkt in Paderborn: Die Lichter leuchten schon weit vor Weihnachten in die Dunkelheit hinaus. Foto: Jörn Hannemann

Die eigene Kultur, das eigene Herkommen und die eigene Tradition werden in Zeiten des Geplärres und der Kulturvergessenheit offenbar wieder wertvoll. Ein vortrefflicher Ansatz! Am 11. November haben sich allüberall wieder viele Menschen aller Generationen über den Heiligen Martin von Tours gefreut und seine Mantelteilung nachgespielt.

Ein neues Nach- und Umdenken

Vielleicht ein Zeichen für das Umdenken. Da die Gaben zu Weihnachten dieses Jahr möglicherweise gar nicht mehr in die Kaufhäuser kommen, mag der eine oder andere sich wieder mehr auf Substanz und Zentrum des Festes besinnen. Hat der Denker Erich Fromm nicht schon vor vielen Jahren darauf hingewiesen, dass das Sein über dem Haben steht? Beschrieb der Dichter Karl Heinrich Waggerl aus dem Salzburger Land den Advent nicht als „die stillste Zeit im Jahr“?

Es spricht also nach dieser Betrachtung ganz viel dafür, wenn wir die Jahreszeiten und Feiertage wirklich dann feiern, wenn sie vor der Tür stehen. Damit wir nicht aus dem Rhythmus des Lebens geraten. In diesem umfassenden Sinne dürfen wir uns gegenseitig einen ruhigen Ewigkeitssonntag wünschen, sodann, in einer Woche beginnend, eine Adventszeit der Besinnung, Einkehr und hoffnungsvollen Erwartung – und dann schließlich die lichterfüllte Freude des Weihnachtsfestes.

Bis Weihnachten vergehen noch einige Wochen. Aber dann ist die Freude umso größer. Claudia und Willi Potthoff aus Herzebrock schufen für die 81. Telgter Krippenausstellung diese Darstellung der Heiligen Familie. Foto: Gunnar A. Pier
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