Moos über die Sache wachsen lassen
Jenny Holzers mahnende Bänke im Schlossgarten sind nicht zum Sitzen gemacht
Münster
Wenn Gras über eine Sache wachsen soll, ist in der Regel höchstes Misstrauen angesagt. Ganz anders beim Moos. Jedenfalls hat die Pflanze auf den Kunstwerken von Jenny Holzer den gegenteiligen Effekt. Die Botschaft der Künstlerin, die 1987 Bänke mit Inschriften vor ein Kriegerdenkmal im Schlossgarten stellte, ist jetzt viel besser lesbar. Und zugleich gibt das zarte florale Geflecht auf hartem Beton dem unangenehmen Inhalt eine zusätzliche Spannung.
Jenny Holzer benutzt Sprache wie einen Virus. Sie schleust ihn ins Gehirn, wo er seine Wirkung tun soll. Im besten Fall eine nachhaltig gute. Sätze wie: „Leute gehen zum Fluss, wo das Grün saftig und der Boden morastig ist, um Gefangene zu erschießen, in den Fluss zu werfen und zu versenken.“ oder „Die Soldaten schießen auf rennende Frauen und auf Kinder, die sich wegschleichen wollen.“ Die hat die amerikanische Künstlerin in Bänke gehauen, auf die man sich theoretisch auch setzen kann. Wie das Moos zeigt, wird das offensichtlich selten gemacht. Wer setzt sich auf Sätze?
Zwischen den beiden Kunststein-Abgüssen im südlichen Schlossgarten steht geschrieben: „Ob auch alles um uns sank, lasst uns nicht entarten! Haltet Schwert und Ehre blank! Unsere Toten – Warten!“ Darüber wacht der Soldat für die Kameraden des Königlich Preußischen 2. Westfälisches Feldartillerie-Regiments No. 22 zum ehrenden Gedächtnis. Der Krieger erinnert Münster daran, Garnisonsstadt, die Bänke daran, Friedensstadt zu sein. 1923, vor 90 Jahren, schuf der Bildhauer Alexander Frerichmann (1887-1960) aus Senden seine Skulptur, vor 35 Jahren Jenny Holzer (geboren 1950 in Gallipolis in Ohio, lebt in New York) die ihre. Eine andere Zeit, ein anderes Gedenken, eine andere Nachdenklichkeit.
Jenny Holzer ist seit 1999 auch im Reichstagsgebäude in Berlin mit einer Arbeit vertreten. Auf ihrer Stahlstele mit elektronisch gesteuerter Schriftabfolge laufen 442 Reden von Reichstags- und Bundestagsabgeordneten aus der Zeit von 1871 bis 1992 durch. Parlamentarische Zwischenrufe werden durch wiederholtes Aufblinken kenntlich gemacht.
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