Wolfram Koch las als „Meister des Wortes“ Novellen von Anton Tschechow
Kleine kuriose Typen in großer Gesellschaft
Münster
Menschen in kuriosen Situationen. Kleine Leute in den Zwängen einer gespaltenen Ständegesellschaft. Der Schauspieler Wolfram Koch präsentierte am Samstagabend im Kleinen Haus des Theaters Münster eine Sammlung heiterer und schwarzhumoriger Geschichten von Anton Tschechow. Das hatte Klasse!
Ein
Sommerfrischler mit ausgefallenem Techtelmechtel, ein Kindermädchen im schweren Schlafentzug, ein kleiner Beamter mit Niesanfall im Theater, ein Junge, der Austern mit Schale isst: Der Schauspieler Wolfram Koch präsentierte am Samstagabend im Kleinen Haus des Theaters Münster auf Einladung von Weverinck-Management eine in jeder Hinsicht kuriose Sammlung heiterer und teilweise nicht weniger schwarzhumoriger Geschichten aus dem Russland der späten Zarenzeit. Urheber, wie könnte es anders sein, war Anton Tschechow (1860-1904). Das Publikum feierte Koch, der dynamisch, frisch und facettenreich in viele Rollen seiner Protagonisten schlüpfte, mit großem Applaus.
Eigentlich kennt der Kultur- und Theaterfreund Tschechow vor allem als Dramatiker durch Theaterstücke wie „Drei Schwestern“, „Die Möwe“ oder „Der Kirschgarten“. Doch seine frühen Novellen haben es ebenfalls in sich. Der Abend in Münster gipfelte in dem besonders herzerfrischenden Lese-Stück „Roman mit dem Kontrabass“, der einen Kontrabassisten und die Tochter eines Fürsten an einem See zusammenführt. Weil garstige Diebe die Klamotten des badenden Kontrabassisten ebenso stehlen wie die der angelnden Fürstentochter, hocken die beiden schließlich splitterfasernackt unter einer Brücke. Im Futteral seines Instruments möchte der galante Musiker die Dame geschützt nach Hause schleppen, doch das Schicksal will es anders. Kurios, wie Tschechow und Rezitator Wolfram Koch hier die Perspektiven wechseln und die hochnotpeinlichen Gefühle der Figuren zum Tragen bringen. Immer sind es die kleinen devoten und die großen herablassenden Leute in der Provinz, die Tschechow aufeinanderprallen lässt. Koch beschreibt den Dichter prägnant als jemanden, „der gewissermaßen auf einer Wolke sitzt und ihnen zuschaut“.
„Ich habe Sie besprüht“, so lautet in der Erzählung „Der Tod des Beamten“ das zwanghafte und von Koch besonders saftig formulierte Schuldbekenntnis eines Bediensteten, der sich gleich mehrfach bei einem Zivilgeneral entschuldigt, weil er ihn im Theater versehentlich angeniest hatte. Der jedoch will sich mit der Petitesse eigentlich gar nicht mehr befassen und fertigt den kleinen Beamten mehrfach kurz ab, was diesen restlos zerknirscht aufs heimische Sofa treibt, wo er verstirbt.
Das arme Kindermädchen Warka leidet in der Erzählung „Schlafen!“ derart unter der Dauerbeanspruchung der hohen Herrschaften und dem schreienden Kleinkind, dass es sich nur noch Schlaf wünscht und zur Täterin wird. Koch lässt Warka singen, träumen und um Schlaf betteln. Das Publikum verfolgt das Drama atemlos.
Eine Läuterung erlebt schließlich der bedauernswerte Nikolai, der nach einem „Malheur“ mit Trunksucht und Ausschweifung seinen Job verliert, die Inquisition seiner Frau befürchtet, deren Barmherzigkeit erfährt und künftig Trinkern nachsichtiger begegnet als zuvor.
Ein kunterbunter Einblick in die russische Provinz und Gesellschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts war das also, was Koch seinen Zuhörern bot. Ein analoger Abend mit feinem Vortrag, der doch nach langer Corona-Zeit so viel mehr Farbe ins Leben bringt als digitales Streaming und Glotze.
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