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Tobias Doerr im Wewerka-Pavillon mit „AM191951952776047“

Pilze sind informiert

Münster

Die Ausstellung läuft. Aber Münsters größte Kunstvitrine ist leer. Steht allerdings unter Beobachtung. Tobias Doerr hat auf den Aaseewiesen eine technische Apparatur aufgebaut, die auf den Hybrid aus Architektur und Kunstwerk – den Wewerka-Pavillon ausgerichtet ist.

Gerhard H. Kock

Unter Beobachtung: Tobias Doerr hat seine Apparatur vor den Wewerka-Pavillon gestellt. Foto: Gerhard H. Kock

Die Ausstellung läuft. Aber Münsters größte Kunstvitrine ist leer. Steht allerdings unter Beobachtung. Tobias Doerr hat auf den Aaseewiesen eine technische Apparatur aufgebaut, die auf den Hybrid aus Architektur und Kunstwerk – den Wewerka-Pavillon ausgerichtet ist. Der Künstler der Kunstakademie verbindet in seiner Arbeit mit dem geheimnisvollen Titel „AM191951952776047“ Technik, Natur und die Idee als ein möglicherweise materialunabhängiges Kontinuum.

In einer aufgeständerten hölzernen Konstruktion suggeriert die gleichsam erdbebensichere Aufhängung eines inneren Labors höchsten wissenschaftlichen Standard. In diesem Glasquader sind ein Röhrensystem und technische Anlagen zu sehen, die aus dieser Vitrine (ästhetisch analog zum Pavillon) ein Gewächshaus machen. Das ist notwendig für jene Lebewesen, die Doerr darin platziert:

Der Künstler hat vier Zeichnungen vom Wewerka-Pavillon als einem technischen Bauwerk erstellt. Diese Papiere hat er geschreddert, mit Sägespäne gemischt und mit Pilzen infiziert. Auf diesem mit den Informationen über den Pavillon angereicherten Substrat werden die Pilze in dem Kunst-Gewächshaus Fruchtkörper ausbilden. Diese wiederum wachsen in eine Sicherachse zwischen Pavillon und Apparatur hinein. In dieser ist ein Blech derart konvex gespannt, dass der gesamte Wewerka-Bau sich darin spiegelt. Über diese Lichtverbindung zwischen Pavillon-Bau und Doerrs „Alchimistischer Maschine“ (dafür steht das „AM“ im Titel, der ansonsten Zeit und Breitengrad der Arbeit wiedergibt) können potenziell Informationen weitergegeben werden.

Das klingt nicht wissenschaftlich. Aber die Arbeit „AM191951952776047“ ist schließlich Kunst. Einen Hinweis darauf geben seltsame Gegenstände wie Masken, Korallen, Besen oder ein Gebiss der Großmutter des Künstlers. Letzteres erinnert an ein Geheimnis zwischen Oma und Enkel. All diese Objekte bringen gleichsam Glücksbringerqualitäten mit in die Anlage.

Tobias Doerr kreist mit seiner Arbeit um Themen wie Wissenschaftlichkeit, Geistigkeit, Erfahrungen und deren Wert, Objektivität, Glaubwürdigkeit, Plausibilität, letztlich um die geheimnisvollen Grenzen und Möglichkeiten von Wissen. Wenn Einstein über die Quantenphysik schreibt „Die Welt kann nicht so verrückt sein. Doch heute wissen wir: Sie ist so verrückt!“, dann öffnen sich eben viele Tore. Doerr betreibt hier keine Wissenschaft, sondern Kunst, Information nachsinnt. Archäologien sagen, es gebe nichts Beständigeres als ein Loch. Vielleicht gilt das ja zugleich für gezeichnete Informationen, die ein Künstler von Pilzen zersetzen und in ihre Fruchtkörper integrieren lässt.

Zum Thema

Die Eröffnung ist am Dienstag (17. September) um 19 Uhr am Wewerka-Pavillon, Annette-Allee (Nähe Torminbrücke). Es spricht Tonio Nitsche.

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