Laurenz E. Kirchner kommentiert aktuelle Ereignisse
Pointiert bis ins Detail
Münster
Laurenz E. Kirchner beschäftigt sich zeichnerisch mit tagesaktuellen Themen ebenso wie mit pointierten Künstlerporträts.
In einer Mischung aus Baron von Münchhausen und Karnevalsprinz sitzt der britische Premier Boris Johnson auf einem Ballon mit Union-Jack-Abzeichen, der jeden Moment zu platzen scheint. Auf einem anderen Aquarell von Zeichner Laurenz E. Kirchner bohrt sich das Coronavirus in das Pulverfass namens „World Economy“, das an unzähligen Stellen leckschlägt. Petra, der berühmte schwarze Schwan von Münster, sitzt oben auf dem Fass, neugierig. Fühlt sich offenbar noch in Sicherheit.
Laurenz E. Kirchner beschäftigt sich zeichnerisch mit tagesaktuellen Themen ebenso wie mit pointierten Künstlerporträts. Herman van Veen und Udo Lindenberg bringt der Münsteraner mit Augenzwinkern perfekt auf den Punkt: Van Veen kommuniziert mit seiner Zeichentrick-Ente Alfred Jodocus Kwak, die mit ihrem ansteckenden Optimismus („Warum bin ich so fröhlich“) bislang mehr als zehn Millionen Klicks auf Youtube erreicht hat. Und der Panikrocker aus dem Münsterland hält stolz den „Sonderzug nach Pankow“ (seinen größten Hit) als Spielzeug in der Hand, wie eine Trophäe.
Hart und bitter sind Kirchners Auseinandersetzungen mit dem Nationalsozialismus und dem Aufkeimen neuer rechter Gewalt. Direkt nach dem Anschlag von Halle entstand eines seiner besten Werke: Aus dem überquellenden NS-Dampfdrucktopf, der auf dem Feuer ungelöster deutscher Probleme kocht, entsteigt eine Rauchwolke mit schießender Waffe und blutigen Tränen. „Gewalt darf in unserer Gesellschaft keinen Platz haben, egal aus welcher Richtung sie kommt“, sagt Laurenz Kirchner im Gespräch mit dieser Zeitung.
Der leidenschaftliche Motorradfahrer ist auch Bildhauer. Seine lebenslustigen Bronzeskulpturen, vorwiegend aus der Tier- und Alltagswelt, findet man in seinem Atelier nahe des Kapuzinerklosters (Besichtigung nach telefonischer Voranmeldung: 6 35 99).
Kirchner ist ein Autodidakt. Schon in frühen Lebensjahren entwickelte sich bei ihm, ausgehend von der Tusch- und Aquarellmalerei, ein innerer Drang, Dreidimensionales zu erfassen, Figuren und Szenen posenreich und humorvoll zu formen. Auf Studienreisen nach Amsterdam und London und beim „vielen über die Schulter-Schauen“ bei seinem Vater, dem Bildhauer Heinrich Kirchner, brachte er sich alles selbst bei. Sein Vater sagte immer: „Das guckt sich fertig.“ „Damit spornte er mich immer wieder an, beim Modellieren in Ton stets von allen Seiten auf das Objekt zu schauen, um zu wissen, wo Änderungen nötig sind, um zum Ziel zu kommen. So habe ich zunächst auch mein eigenes Spielzeug hergestellt.“
Eigentlich wollte Laurenz Kirchner auch Kunst studieren. „Doch in den 70er Jahren galt das Studium Gegenständlicher Kunst angesichts von Beuys & Co. regelrecht als verpönt.“
Aber es ging auch ohne Akademie. Ausgehend von Papierskizzen stellt der heute 62-Jährige zunächst immer ein Wachsmodell her, aus dem dann die jeweilige Skulptur aus Keramik oder Bronze entsteht. Allen gemeinsam sind eine feine, ausgewogene Patinierung und die große Liebe zum figürlichen und auch haptischen Detail. So kann man bei seinen erotischen weiblichen Akten (keine Modelle, alle entstammen seiner Fantasie) selbst bei den Minimotiven die Fußzehen sehr genau erkennen. Liebe geht halt von Kopf bis Fuß, das wusste schon Marlene Dietrich.
Und gelegentlich mischt er sich mit seiner Kunst in den öffentlichen Raum ein, wie bei den Skulptur-Projekten 2017, als Kirchner mit einem gigantischen Zollstock „Das Maß der Kunst“ nahm. Damit wollte er nicht nur den Umfang der Kunstwerke ermitteln, sondern auch eine Diskussion über deren künstlerischen Wert anstoßen.