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Hagen Rether durchleuchtet die Welt

Rufer und Mahner in der Wüste

Münster

Das Publikum bleibt Hagen Rether treu. Nach langer Corona-Verschiebung war der Klavier-Plauderer jetzt in Münster zu Gast. Und warf einen Blick auf die Weltlage. Punktgenau.

Von Werner Zempelin

Hagen Rether analysiert die politische Gesamtlage. Foto: Zempelin

Ein ganzes Jahr musste das Publikum auf Hagen Rether warten und es ist ihm treu geblieben. Im ausverkauften Congresssaal in Münster treffen sich Fans jeden Alters, eine bunte Mischung. Rether legte sofort los: „Haben Sie die Karten noch vor dem Krieg gekauft?“ Vielleicht wäre Putin ja bei Rethers nächstem Auftritt schon Bundeskanzler von Deutschland oder Bürgermeister von Dresden.

Rether bezieht in seinem Programm klar Stellung zum völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands und unterscheidet deutlich zwischen Angriffs- und Verteidigungswaffen. Viele würden behaupten, der Westen habe Putin gedemütigt, dem kann er aber nicht zustimmen, denn der habe Länder in Schutt und Asche legen können und dennoch wurde eine neue Pipeline gebaut. Die Demütigung müsse bereits früher stattgefunden haben, vermutet das Mitglied von Attac und Amnesty International.

Rethers zugespitzte Attacken

Immer wieder hält er dem Publikum vor Augen, dass es nicht mehr vor zwölf sei, sondern schon halb eins, dass es nur noch eine Frage der kurzen Zeit sei, wann die ökologische Katastrophe perfekt sei. Die Grünen hätten davor immer gewarnt und gemahnt, den Lebensstil zu ändern, wären aber diffamiert worden als „Verbotspartei“.

Übliches Kabarett ist das eigentlich nicht. Es wirkt eher so, als würde Rether auf der Bühne lediglich laut denken und sich freuen, wenn andere mit dabei sind. Er analysiert so ähnlich wie Volker Pispers in seinen besten Tagen, hat dabei aber weniger Scheu, seinem Publikum den Spiegel vorzuhalten, ein Rufer in der Wüste, ein Missionar, der das Publikum zwingt, sich selbst und seine Widersprüche anzuschauen.

Ausverkaufter Congresssaal in der Halle Münsterland. Foto: Werner Zempelin

Rethers zugespitzte Attacken treffen aber nicht nur „die da oben“, die es falsch machen. Nein, alle sind angesprochen: „Wir leben in einer Gesellschaft mit maximaler Freiheit und ohne Verantwortung“. So habe eine Jeans „40.000 Kilometer hinter sich, bis sie beim Konsumenten landet“. Der Wohlstand der westlichen Welt sei aufgebaut auf den „Leichenbergen“ in den armen Ländern.

Hochkarätige Pianoplauderei

Er zeigt die Missstände klar auf, aber der Fleischkonsum sei dieser Gesellschaft heilig. Dabei seien die Menschen, die in der Fleischindustrie arbeiten, in anderen Branchen besser aufgehoben, wie in der Kinder- oder Altenbetreuung.

Es gebe noch Holocaustüberlebende, die seit Jahrzehnten in Schulen den Urenkeln der Täter erzählen, was damals in Deutschland passiert ist und dennoch nicht den Glauben an eine bessere Welt verloren hätten. Diese Menschen sind für Hagen Rether vorbildlich.

Zum Schluss setzt sich ­Rether an seinen Flügel, klimpert herum, bevor er die Europahymne anstimmt und dabei daran erinnert, wie nach dem Weltkrieg Versöhnung gelang – zunächst mit Konrad Adenauer und Charles de Gaulle, später dann mit Helmut Kohl und François Mitterrand.

Das Publikum entlässt dankend den Meister der hochkarätigen Pianoplauderei nach mehr als drei Stunden mit langanhaltendem Applaus.

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