Katia Kameli in der Kunsthalle Münster
Vergangenheit verlebendigen
Münster
Wem gehört die Geschichte? Diese Frage enthält zwei gefährliche Fehler. Erstens: Man kann zwar von Geschichte besessen sein, aber besitzen sollte sie, kann sie niemand. Zweitens: Das Sprechen von „der Geschichte“ unterstellt, es gäbe lediglich „die eine“. Die französisch-algerische Künstlerin Katia Kameli zeigt in ihrer ersten institutionellen Einzelausstellung in der Kunsthalle Münster mit „She Rekindled the Vividness of the Past“, wie „Lebendigkeit der Vergangenheit“ belebt wird.
Jeder, der eine Geschichte erzählt, will seine persönliche Welt verkaufen. Daher steht am Anfang der Ausstellung gleichsam als Warnung und Übung zugleich ein Film von 2012. In „Storyteller“ zeigt Kameli einen typisch maghrebinischen Erzähler, der im Rohbau der Oper von Marrakesch eine Liebesgeschichte aus Bollywood fabuliert. Drei Erzählräume treffen aufeinander und brechen sich gegenseitig: arabische Tradition vermittelt indische Filmindustrie in einer europäischen Kulturinstitution.
Im Zentrum der Ausstellung steht Kamelis mehrteilige filmische Arbeit „Le Roman Algérien“ (2016, 2017, 2019). In drei halbrunden Kinoräumen reihen sich Videos aneinander, in denen Algerier (zumeist Frauen) Zeugnisse und Erlebnisse algerischer Geschichte mit ihrem bis heute anhaltenden toxischen Hauch des Kolonialismus verhandeln. Zugleich thematisiert die Künstlerin allgemein, wie mit Bildern Geschichte gemacht wird und wie aus Bildern Geschichten geholt werden können. Die Transparenz, Offenheit und Dialogfähigkeit, die sich darin wiederfindet, ist für jede aufklärerische Kultur wichtig und wertvoll.
Ausgangspunkt der Filme ist ein Fotokiosk im Zentrum Algiers, wo ein Händler Postkarten und Fotos von früher feilbietet. Mehr noch: Die alten Aufnahmen stimulieren Erinnerungen und mit ihnen Gespräche – von der Nostalgie ist ein Weg zu einer Identität möglich, die durchaus schmerzlich sein kann: Wer hat wann wen unterstützt?
Im zweiten Video interpretieren eine Philosophin, eine Feministin sowie eine Psychologin den ersten Film sowie weitere Fotos. Dadurch erhellt sich, welchen Wert jede Aufnahme nach Jahrzehnten haben kann: Auf einem Foto aus den 80er Jahren fährt Algeriens Präsident Chadli Bendjedid durch ein Dorf, vom Balkon winken ihm Frauen zu – alle unverschleiert und fröhlich. Die Aufnahme dokumentiert eine Zeit der Freiheit im ganzen Land, die wieder verloren ging.
Der letzte Film präsentiert nicht nur Bilder aus jüngster Zeit, sondern auch drei Frauen unterschiedlicher Generationen, die ihre Geschichte Algeriens erzählen, besonders eindrucksvoll dabei Louiza Ammi – als Frau und Journalistin in Zeiten von Militärdiktatur und islamistischen Umtrieben doppelt gefährdet. Aber sie macht ihren Job: Im Algerischen Bürgerkrieg fotografiert sie eine still weinende alte Frau vor den Gräbern des Massakers in Raïs. Die Schlagzeilen in den Zeitungen lautete: „Diana ist tot“. Die Prinzessin war am 31. August 1997 durch einen Verkehrsunfall gestorben. Die bis zu 400 Toten aus Algerien waren keine Schlagzeile wert, machten keine Geschichte . . .
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Die Ausstellung wird am Freitag (6. September) um 19 Uhr in der Kunsthalle, Hafenweg 28, eröffnet.
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