Theater Saurüssel auf dem Baugerüst vor dem Dom
Was Corona mit den Menschen macht
Münster
Corona lässt die Menschen vereinsamen. Das Theater Saurüssel hat dieses Dilemma sehr eindrücklich inszeniert – auf dem Baugerüst vor dem Dom.
Die Dämmerung hat sich über den Domplatz gesenkt, und eine bunte Menge Schaulustiger reckt die Hälse zum Baugerüst an der Dommauer. Was man in der kommenden Stunde zu sehen bekommt, ist ebenfalls eine bunte Menschenmenge.
Die unten schauen auf die oben – und sehen sich gleichsam gespiegelt: Ein gemischtes Völkchen von Bewohnern, nebeneinander und übereinander, Wabe an Wabe, die durch die Lockdown-Zeiten in Wallung geraten. In Einsamkeit, Verwirrtheit und Paranoia – aber auch teils in spaßige Ausgelassenheit. „Auf zum Horizont“ – so der Titel.
Stimmige Musik - stimmige Kostüme
Einmal mehr hat das Theater Saurüssel eine Gerüst-Performance erarbeitet, deren kollektiven Charakter der Ideen man förmlich greifen kann. Die künstlerische Leitung von Klaus-Dieter Hedwig und Manfred Kerklau bringt alles in eine runde Form. Die Musik ist so stimmig wie die Kostüme (Heike Hedwig).
23 Akteure machen sich gemeinsam auf in die Höhe des Gerüsts, zuvor nutzen einige Ladys den Domplatz noch für einen kleinen Catwalk. Dass das Publikum entspannt in Eigenregie auf Abstand gehen darf, ist den aktuellen Hygieneregeln geschuldet.
Pantomimische Szenen
Gesprochen wird hier nichts – die pantomimischen Szenen sprechen für sich. Alles läuft simultan ab, nur die Spotlights (Licht: Johannes Sundrup) holen immer wieder andere „Hauptfiguren“ in den Fokus, manchmal mehrere, teils nur eine einzige.
„Ah, look at all the lonely people“ sangen die Beatles einst. Hier nun hangelt sich der treibende Soundtrack von minimalistischen Synthi-Klavierklängen über Rock und Pop bis hin zu einem innigen Violinsolo.
Und was treiben all diese „lonely people“? Da ist die junge Frau, die traumverloren an ihrem Hochzeitskleid zupft. Da ist der ältere Herr, der sich gen Mekka verneigt. Da ist die Frau mit dem Geigenkasten, die ihre Wohnung mit Absperrband sichert. Und der Sportsmann, der seine Aggressionen am Boxsack auslässt.
Die Wut aus dem Leib boxen
Etwas später hat diese Aggression das ganze Gerüst im Bann – und alle boxen sich die Wut aus dem Leib. Nur der eigentliche „Boxer“ ist plötzlich ausgepowert. Man kann nicht immer wütend bleiben. Der Mann mit dem Fernrohr beobachtet plötzlich nicht mehr seine Nachbarn, sondern den Himmel. Die Frau mit dem Geigenkasten holt ein Brot heraus – und teilt es mit dem Nachbarn.
Ein paar Kontakte zwischen den Einsamen bahnen sich an. Ob alles gut wird, weiß man nicht. Aber es fühlt sich am Ende so an.
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