Fringe Ensemble mit „Die Vögel“ im Pumpenhaus
Was sich im Kopf von Mattis abspielt
Münster
Das Fringe Ensemble aus Bonn hat das Theater im Pumpenhaus auf Zeit okkupiert. Es zeigt bis zum 28. Januar neue Produktionen in Münster, darunter „Die Vögel“ nach dem neu aufgelegten Roman des norwegischen Autors Tarjei Vesaas. Fazit des Rezensenten zur Premiere: Selten zeigten die gern gesehenen Gäste aus Bonn in Münster eine so poetische Arbeit.
Es ist der Flug der Schnepfen, der Mattis nachts aus dem Bett treibt. Die balzen nämlich und ziehen dabei direkt über das Haus, in dem er mit seiner Schwester Hege lebt. Ganz aufgeregt weckt er sie, um ihr das Schauspiel zu zeigen. Aber die 40-jährige Frau steht mit den Beinen ein bisschen fester im Leben als ihr drei Jahre jüngerer Bruder und möchte nachts lieber schlafen.
Mattis ist der Held in dem 1957 erschienenen und 2020 neu aufgelegten Roman „Die Vögel“ des norwegischen Autors Tarjei Vesaas. Er ist kein richtiger Held, dazu ist er zu einfältig. Ein Dussel, wie alle im Dorf sagen, den Kopf immer irgendwo anders und für keine Arbeit zu gebrauchen. Aber gerade das macht ihn sympathisch. Im Buch ebenso wie in der Inszenierung des Fringe Ensembles aus Bonn, die am Dienstagabend live im Pumpenhaus und zeitgleich auch als Videostream zu sehen war.
Unter der Regie von Frank Heuel steht Konstantin Lindhorst als Mattis auf der Bühne, während Julia Goldberg seine Schwester Hege und noch so einige andere Personen spielt. Den Bauern beispielsweise, dem Mattis auf dem Feld helfen soll, die beiden jungen Touristinnen, die ihm den Kopf verdrehen, oder den Holzfäller Jörgen, der irgendwann auftaucht und sich in Hege verliebt.
Aber die äußere Handlung ist hier hauptsächlich Vehikel für das, was sich im Kopf von Mattis abspielt. „Jetzt nur nichts falsch machen“, sagt er sich, als er den beiden hübschen Touristinnen begegnet. Denn von Mädchen träumt er durchaus. Aber dabei bleibt es dann auch. Und das gilt für so ziemlich alles in seinem Leben. Nur die geliebte Schwester gibt ihm Halt. Und ausgerechnet die lässt sich dann mit dem Holzfäller ein, sodass für Mattis kein Platz mehr ist.
„Die Vögel“ ist eine für das Fringe Ensemble ungewöhnlich dezente, geradezu poetische Inszenierung. Alles konzentriert sich hier auf die beiden Darsteller. Und die leisten Beachtliches. Ohne großen Bühnenapparat, nur mit Worten und ein paar unscheinbaren Requisiten lassen sie eine Welt entstehen. Zwei Schüsseln mit Wasser werden zum See, ein Rollbrett ist das Boot, ein Stück Stoff dient als Bettdecke und später als Tischtuch. So einfach kann gutes Theater sein. Und Mattis, den im Dorf alle für lebensuntauglich und zurückgeblieben halten, wird am Ende zur wahrhaft tragischen Figur.
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