Projekttag
Lebendige Erinnerungsarbeit am Annette-Gymnasium
Münster
Schüler des Annette-Gymnasiums haben einen Brief bekommen – und zwar einen ganz besonderen. Er stammt vom Sohn eines Mannes, dessen Leben die Schüler im Unterricht besprachen.
Als Sabrina Hamidi und Julia Götz die Mail in ihrem Postfach fanden, mochten die Lehrerinnen vom Annette-von-Droste-Hülshoff-Gymnasium zunächst ihren Augen nicht trauen. Gerade hatten sie mit der Klasse 8d einen Projekttag zum Bilderbuch von Bedrich Fritta für dessen kleinen Sohn Tommy beendet. Und jetzt sollte dieser Tag ein markantes Ausrufezeichen erhalten?
Die Mail stammte nämlich von David Fritta-Haas, dem Sohn jenes Tommy, mit dessen Schicksal sich die Jugendlichen anlässlich des Holocaust-Gedenktages im Januar beschäftigt hatten. David Fritta-Haas, der in Berlin lebt, hatte per Zufall die Berichterstattung in unserer Zeitung über das Projekt der Achtklässler entdeckt. Und verspürte sofort den Drang, eine Mail an die Schule zu schreiben.
David Fritta-Haas
„Ich war so gerührt“, erklärte er wenig später bei einem Telefongespräch mit dieser Redaktion. Geschichte, so hatte er den Annette-Schülern geschrieben, sei wichtig für die Zukunft. „Wenn man die Vergangenheit anschaut, kann man aus Fehlern lernen.“
Die Lehrerinnen beantworten umgehend die Mail, die sie ebenfalls an die Schülerinnen und Schüler weitergeleitet hatten. Die waren tief beeindruckt, dass ihr Projekt so weite Kreise gezogen hatte. Es entstand ein erster Kontakt. Und dann viel mehr. Denn David Fritta-Haas kommt mit vielen Ideen nach Münster.
Zunächst wird er den Schülerinnen und Schülerinnen im April von seinem Vater, der den Holocaust überlebt hat, berichten. Sein Schicksal ist traurig und tröstlich zugleich. Denn Tommy hat seine Eltern im Dritten Reich verloren, wurde aber von den besten Freunden der Eltern, Leo und Erna Haas, adoptiert. Die überlebten im Ghetto Theresienstadt.
Vermächtnis des Vaters
David Fritta-Haas kümmert sich seit einigen Jahren in Abstimmung mit seinen Geschwistern um den Nachlass und das Vermächtnis seines Vaters, der 2015 gestorben ist. Ihm ist es ein Herzensanliegen, mit den Schülerinnen und Schülern aus Münster nicht nur zusammenzutreffen. Er möchte mit ihnen nach Prag reisen – an die Wirkungsstätten seines Großvaters und das erste Zuhause seines Vaters. Dem soll sich ein Besuch in der Gedenkstätte Theresienstadt anschließen und ein Gespräch mit der Zeitzeugin Eva Merova. Sie überlebte den Holocaust – und hat eine ähnliche Geschichte wie Tommy Fritta-Haas. Für Sabrina Hamidi und Julia Götz wäre es eine außerordentliche Ehre, David Fritta-Haas als erste deutsche Klasse nach Prag und Theresienstadt zu begleiten. Sie sehen darin mehr noch eine historische Verantwortung und zivilgesellschaftliche Verpflichtung.
Mit Unterstützung ihrer Schulleiterin Anette Kettelhoit bemüht sich das Lehrerinnen-Team in diesen Tagen um die Finanzierung der Reise. Sie haben Stiftungen angeschrieben, Fördergelder beantragt – und freuen sich über Spenden an den Förderverein ihrer Schule. „Interreligiöse Begegnung an mahnenden Gedenkstätten schult das Bekenntnis zur Demokratie bei jungen Menschen, das heute nötiger ist denn je“, sagen sie. Sie sind optimistisch, dass sie das Geld für die Fahrt zusammentragen. Es geht für sie darum, Toleranz zu schulen, Erinnerungsarbeit zu fördern und Frieden durch Dialog zu sichern.
Startseite