Terrorzelle NSU: Neue Erkenntnisse
Münster im Fadenkreuz des NSU
Münster/münchen
Die Mitglieder der Terrorzelle NSU haben offenbar Anschläge in Münster geplant – als mögliche Ziele dienten Politiker und religiöse Einrichtungen. Das belegen ein Stadtplan und eine Adressliste, die jetzt im Münchner NSU-Prozess untersucht werden.
Die Terroristen mochten es farbenfroh. Auf einem Stadtplan von Münster markierten rote Sternchen die Anschriften von Abgeordneten- und Parteibüros. Gelbe Sterne klebten da, wo türkische und islamische Vereine ihren Sitz hatten. Am auffälligsten war das gelbe Smiley mit der Sonnenbrille – es pappte an der Adresse der Jüdischen Gemeinde.
Zwei Kartenausschnitte, ausgedruckt am Computer, hatten Ermittler Anfang November 2011 aus der Brandruine im sächsischen Zwickau gezogen, in der die rechtsextreme Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) ihr letztes Versteck hatte. Die vom Löschwasser aufgeweichten und zerknitterten Dokumente gehören zu den Tausenden Beweisstücken, die eine Sondereinheit des Bundeskriminalamts in monatelanger Kleinarbeit auswertete, um die monströsen Visionen des Trios aus Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt aufzudecken.
Die Gruppe hat nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft zehn Morde und zwei Sprengstoffanschläge in ganz Deutschland verübt. Die Pläne des Trios reichten aber offenbar viel weiter: Im Prozess, der momentan gegen Beate Zschäpe und vier mutmaßliche Unterstützer vor dem Münchner Oberlandesgericht läuft, stellen Ermittler immer neue Landkarten und Adresslisten vor. Darin haben die Rechtsextremisten Ziele in Großstädten im gesamten Bundesgebiet notiert – auch in Münster.
Heute untersucht das Gericht die Pläne mit den Sternchen und dem Smiley, zudem eine zugehörige Adressliste. Der Inhalt der Liste ist brisant: Sie enthält 15 Einträge – allesamt potenzielle Ziele und passend zur staatsfeindlichen Ideologie des NSU.
Drei der Punkte auf der Liste enthalten konkrete Namen: Zum einen handelt es sich um die früheren Bundestagsabgeordneten Ruprecht Polenz von der CDU, der bis 2013 im Parlament saß, und Wolf-Michael Catenhusen von der SPD, der bis 2002 Abgeordneter und drei weitere Jahre Staatssekretär war. Ein weiterer Eintrag enthält Namen und Adresse einer türkischstämmigen Lehrerin.
Das wohl prominenteste Ziel auf der Liste ist der Sitz des Bistums Münster. Aufgeführt sind auch das Büro des CDU-Kreisverbands, die bis 2013 von den Briten genutzte Oxford-Kaserne und die Luftwaffenkaserne der Bundeswehr. Ebenfalls in Erwägung gezogen hatte der NSU der Liste zufolge die Gemeinnützige Gesellschaft zur Unterstützung Asylsuchender. Bei den anderen Einträgen handelt es sich um Kulturvereine türkischer oder islamischer Ausrichtung und die Synagoge in der Klosterstraße.
Unklar ist, wie die Rechtsextremen sich die Daten beschafften: Waren sie eigens nach Münster gereist? Hatten sie Helfer vor Ort, wie bei vielen NSU-Taten vermutet wird? Oder hatten sie schlicht im Internet gesucht?
Wann genau der NSU die Liste erstellte, ist nicht gesichert. Ausgedruckt wurden Liste und Karten laut aufgedrucktem Datum am 3. April 2006. Einen Tag später erschossen Mundlos und Böhnhardt in Dortmund einen Kioskbesitzer – ein zeitlicher Zufall?
Angesichts der geradezu pedantischen Planung, die der NSU vor seinen Taten betrieb, erscheint das ziemlich unwahrscheinlich. „Möglicherweise wurde von Täterseite eine Weiterreise von Dortmund nach Münster erwogen“, notierte ein BKA-Beamter in einem Aktenvermerk.
Zu einem Anschlag in Münster kam es letztlich nicht – wie knapp die Stadt davon entfernt war, zur Zielscheibe von Rechtsterroristen zu werden, wissen nur die mutmaßlichen Täter. Mundlos und Böhnhardt erschossen sich 2011, als der NSU aufflog. Nur die Hauptangeklagte Beate Zschäpe könnte das Geheimnis lüften, doch sie schweigt seit Prozessbeginn. Aber möglicherweise wird sie am Mittwoch erstmals aussagen, hieß es am Montag.
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