Heinz Strunk im Interview
„Psycho mit negativem Menschenbild“
Münster
Heinz Strunk ist regelmäßiger Gast in Münster. Vergangenes Jahr hat er sein Programm „Das Heinz-Strunk-Prinzip“ im LWL-Museum präsentiert. Bekannt geworden ist der gebürtige Hamburger mit dem Roman „Fleisch ist mein Gemüse“. Jetzt hat er seine Fangemeinde mit einem ernsthaften Roman überrascht. Unser Redakteur Carsten Vogel hat mit ihm in vorab gesprochen.
Was ist die Inspiration für ein Buch über Fritz Honka gewesen?
undefined: Ich habe mich privat 2009 im „Goldenen Handschuh“ aufgehalten. Zu dem Zeitpunkt war ich gerade auf der Suche nach einem neuen Thema. Deshalb hat sich die Verbindung aufgedrängt.
Haben Sie die Zeit damals mitbekommen? Sie waren gerade 13 Jahre alt.
Strunk: Ja, die habe ich sehr bewusst miterlebt.
Sie haben einen Antrag beim Staatsarchiv in Hamburg gestellt und für das Buch insgesamt 18 Prozessordner durchgelesen. Haben Sie denn auch sieben Jahre an dem Buch geschrieben?
Strunk: Nein. Die reine Schreibzeit beträgt brutto mit allem Schnickschnack vielleicht zwei Jahre. Das kann ich aufs Netto aber schlecht umrechnen. Ich musste immer wieder Pausen einlegen – weil ich noch viele andere Sachen mache –, da kann ich es mir gar nicht erlauben, mich ausschließlich zwei oder drei Jahre am Stück mit einem Thema zu befassen. Das war in diesem Fall gut, weil der Inhalt des Buches in mir weiterarbeiten konnte.
Sie schreiben eine Kolumne für die Titanic, machen Musik, sind häufig auf Lesereise, haben den Film „Fraktus“ gedreht. Wie schreibt man nebenher so einen Roman?
Strunk: Nebenbei war das nicht. Das war das Hauptwerk, während die anderen Sachen nebenbei waren. „Fraktus“ war aber bereits abgedreht, bevor ich mit dem Schreiben begonnen habe.
Würden Sie unterschreiben, dass „Der goldene Handschuh“ ihr ambitioniertestes und bestes Werk ist?
Strunk: Ach, da halte ich mich raus. Ich habe alle Bücher, an denen ich sitze – außer vielleicht das „Strunk-Prinzip“, weil es etwas Anderes ist – gleichermaßen ernst genommen. Reich-Ranicki hat mal gesagt, dass Schriftsteller am besten gar nichts über ihre Bücher sagen sollten, weil Kritiker es meistens besser wissen. Und irgendwie stimmt das auch.
Waren Sie stolz auf die Nominierung für den Buchpreis der Leizpziger Buchmesse?
Strunk: Ja, auf jeden Fall.
Und enttäuscht darüber, dass es nichts geworden ist?
Strunk: Ich hätte es zwar für angemessen gefunden, aber letztlich war mir das egal. Entscheidend war die Nominierung.
Haben Sie die Filmrechte an dem Buch bereits verkauft?
Strunk: Nein, noch nicht.
Schade, das wäre ja was.
Strunk: Naja, das ist gerade ein heißes Thema. Es gibt Interessenten und es wird auch einen Film geben.
Sie haben einen auktorialen Erzählstil gewählt, das heißt, Sie schauen in die Köpfe Ihrer Figuren. Sie müssen sogar Empathie für einen Serienmörder entwickeln. Wie geht das?
Strunk: Das ist gar nicht so schwierig gewesen, wenn man sich das Schicksal von Fritz Honka vor Augen führt. Es ist ambivalent. Serienmörder sind nicht zwangsläufig ausschließlich böse, wie sie in Krimis gezeichnet werden. Für den typischen Krimiplot gibt es den guten Kommissar, den bösen Täter und warum eine Tat begangen wird, weiß man nicht, ist ja auch egal. Die Herausforderung für mich bestand darin, keinen Krimi oder ein Melodram zu schreiben, sondern dem Ganzen mit einer gewissen Nüchternheit zu begegnen.
Nüchtern, nun ja, vor allem ist es aber nicht distanzlos. Kennen Sie die Serie „Dexter“?
Strunk: Nein, habe ich nicht gesehen.
Da ertappt sich der Zuschauer, dass er Sympathie für den Serienmörder entwickelt.
Strunk: Ich verstehe. Nüchtern ist vielleicht das falsche Wort an der Stelle. Ich könnte diese Stilistik nicht genau definieren: Lakonisch trifft es vielleicht besser.
Allein die Verniedlichung seines Vornamens durch die Anrede „Fiete“...
Strunk: Ist es eigentlich nicht. Dass der Name Honka erst nach über hundert Seiten auftaucht – anfangs heißt er ja „der Schiefe“, dann „Fiete“ – ist ein guter Kniff.
Mitunter sind die Beschreibungen – insbesondere der Frauen – abartig. Haben Sie sich manchmal vor Ihren eigenen Gedanken geekelt?
Strunk: Nein, ich empfinde sie geradezu als naturalistisch. Wenn mir unterstellt wird, ich hätte ein verzerrtes Bild der Wirklichkeit und meine Figuren wären immer deformiert, dann kann ich nur sagen: Leute, geht doch mal in den „Goldenen Handschuh“, geht doch mal durch eine durchschnittliche Fußgängerpassage. Ich empfinde die Leute, die man da trifft, als schwer deformiert. Psychisch und physisch. Wenn ich das aber so schreibe, dann heißt es, ich sei der Psycho mit einem negativen Menschenbild.
Wie ist es mit der zweiten Geschichte im Buch. Die der „von Dohrens“. Ist die komplett erfunden, oder...?
Strunk: Die ist komplett erfunden. Es gibt kein lebendiges Vorbild.
Sind Sie für weitere Recherchen noch in den „Goldenen Handschuh“ gegangen?
Strunk: Ja, klar. Ich bin da immer noch gerne, das ist einfach ein interessanter Laden.
Haben Sie noch Zeitzeugen befragt?
Strunk: Nein, das nicht. Ich hätte gar nicht gewusst, wie das gehen soll. Jetzt im Nachhinein haben sich welche gemeldet.
Hat sich der Laden denn verändert?
Strunk: Vom Interieur hat sich da gar nichts verändert. Das soll auch nicht. Das lehnen die Stammgäste ab. Die Straße, also der Hamburger Berg, ist heute aber eher eine studentische Amüsiermeile. Früher war das da richtig hart. Heute vermischt sich das am Wochenende mit dem Szenepublikum.
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