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Mark Bellinghaus: Sein Jahr bei der AfD

Schräger Ausflug in die rechte Szene

Münster

Schauspieler Mark Bellinghaus („Der Name der Rose“) schleicht sich in die AfD ein. Er ist kurz davor, sich für ein Bundestagsmandat in Euskirchen zu bewerben. Da knallt die Bombe.

Günter Benning

Nein – Mark Bellinghaus im blauen Einreiher, so wie er beim Nominierungsparteitag der AfD auftrat, um seinen Austritt bekannt zu geben. Foto: Günter Benning

Ein bisschen muss man, wenn man Mark Bellinghaus sieht, an Woody Allens Film „Zelig“ denken. Zelig war überall mittendrin, wo auf der Welt Geschichte geschrieben wurde. Ein menschliches Chamäleon, einfach nicht zu fassen.

Bellinghaus, ultramarinblauer Anzug, Einstecktuch, rote Krawatte, Lederköfferchen, blonde Mähne, sagt zunächst mal: „Na, so sehe ich natürlich normalerweise nicht aus.“ So geschniegelt.

"Ich habe sie alle getäuscht"

So sah er aber aus, als er am vergangenen Wochenende beim Parteitag der Alternative für Deutschland (AfD) in Euskirchen ans Rednerpult ging, um sich als Kandidat für die Bundestagswahl zu präsentieren.

Doch statt einer schriftlich vorbereiteten Rede verkündete Bellinghaus mit massiver Kritik an der Rechtspartei und ihrem Programm seinen Austritt. EU-Austritt und die AfD-Asylpolitik lehne er ab: „Für mich war das ein Weckruf, ich habe die Reißleine gezogen“, sagt er. Und: „Ich habe sie alle getäuscht.“

Und wie. Als die AfD Münster Anfang Februar zum umstrittenen Neujahrsempfang in Münsters Rathaus geladen hatte, saß Mark Bellinghaus in der ersten Reihe, enthusiastisch ein Anti-Europa-Plakat schwingend. Auf einem Foto sieht man ihn im Gespräch mit der AfD-Vorsitzenden Frauke Petry und dem münsterischen Ratsherrn Martin Schiller. "Ich habe Frauke Petry und Ihren Ehemann Marcus Pretzell bewirtet und sozusagen beiden Wasser vor deren Reden gereicht“, sagt er. Diesmal mit Linksscheitel und Fliege. „Etwas schmierig“, sagt er, „eine schauspielerische Glanzleistung, denn die nahmen mir meine Rolle komplett ab.“

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Schauspielern, das hat der gebürtige Koblenzer früher professionell betrieben. Als Jüngling spielte er neben Sean Connery, Christian Slater und F. Murray Abraham den Novizen in „Der Name der Rose “ (1986). Hauptrollen im Fernsehen, Bühnenengagements und Theatern in ganz Deutschland folgten. Er arbeitete auch lange Zeit als Synchronsprecher in München. Dann zog er in die USA, verabschiedete sich aus dem Mimengeschäft und sammelte Marilyn-Monroe-Memorabilien. Es soll eine der größten Sammlungen weltweit gewesen sein.

Im Internet gibt es einen Mark-Bellinghaus-Fanclub. Irgendwann um 2009 verlieren die Fans allerdings seine Spur. 2010 zog er, trotz amerikanischer Green Card aus familiären Gründen zurück nach Deutschland.

Im Janker bei Merkel

Politisch trat er eher skurril in Erscheinung. Etwa beim Münster-Besuch von Angela Merkel 2013. Da sieht man ihn in Janker und mit Tirolerhut („Ich habe ja 13 Jahre in München gelebt und bin quasi halber Bayer“), wie er der Kanzlerin Blumen überreicht. Der WDR interviewte ihn, die Zeitung bildete ihn ab. Die Tracht erklärt Bellinghaus selbst: "Ich bin auch FC Bayern-Fan, und der Club spielte an diesem Tag ein wichtiges Endspiel der Champions League."

Dann stieg er vor einem Jahr bei der AfD ein. Warum? „Ich wollte am eigenen Leib erfahren, was diese Neo-Rechts-Partei mit dir macht.“ Er sagt, es sei ihm darum gegangen, die „AfD zu entlarven“. Und zwar in Form eines Buches.

Wöchentlich beim "Altmännerstammtisch"

Jede Woche besuchte er den „Altmännerstammtisch“ des AfD-Kreisverbandes bei Kruse Baimken. Der übrigens dort seit Kurzem Hausverbot habe. Das bestätigt auf Anfrage auch der Geschäftsführer der Traditionskneipe, in der viele Migranten arbeiten: „Eigentlich bin ich mit dem Vorstand immer gut klargekommen“, sagt er. Aber die Gäste des Stammtisches seien ausfällig geworden: „Meine Leute weigerten sich, die zu bedienen.“ Also habe man sich getrennt.

„Es war ein Horror-Stammtisch“, schildert Bellinghaus aus der Innensicht, „es wird ständig über Ausländer geschimpft.“ Der münsterische Stammtisch sei „gefährlich rechts“. 20 bis 30 Teilnehmer seien dort aufgetaucht, in Münster gebe es 70 Mitglieder. Und: „Es gibt wohl keine Partei, die eine krassere Politik gegen die Kirche macht. Mehrmals vernahm ich den Begriff `Deportation` während verschiedener Stammtischreden.“

Als Parteimitglied fleißig engagiert

Bellinghaus wurde im Mai 2016 Mitglied. Und er engagierte sich fleißig. In einem Schreiben an Frauke Petry biederte er sich an. Bei Versammlungen auf Landesebene gehörte er zur Zählkommission. Er verteilte Parteiwerbung in der Fußgängerzone um nicht aufzufallen, wie er sagt.

In seiner Familie, sagt er, verstand offenbar keiner seinen „Selbstversuch“. Er hat ausländische Verwandte, in seiner US-Zeit habe er zudem als Volontär im Museum für Toleranz der Simon-Wiesenthal-Gesellschaft in Los Angeles  gearbeitet. "Wie könnte ich jemals eine echte Mitgliedschaft mit meinem Privaten vereinen? Das ist unmöglich!"

Woody Allens Leonard Zelig übrigens, das menschliche Chamäleon, passte sich allem an. In der Filmklamotte taucht er am Ende direkt hinter Hitler auf und muss von seiner Geliebten in die USA gerettet werden.

Auch Bellinghaus begibt sich am Ende in Teufels Küche. Am vergangenen Wochenende will er in Euskirchen gegen den münsterischen Ratsherrn Martin Schiller um die Aufstellung für den Bundestag kämpfen: „Ich kam als Erster dran, weil ich vorne im Alphabet stehe.“ Doch statt einer Wahlrede erklärte er den Austritt. Den AfD-Vorschlag, die GEZ als Urheberschutz-Institut abzuschaffen, klatschte er ab: „Schließlich habe ich jahrelang als Schauspieler von der GEZ gelebt.“ Was dann kam, bezeichnet er als „Spießrutenlauf“.

AfD: Bellinghaus war unser Sorgenkind

Und was sagt die AfD? „Bellinghaus“, erklärt AfD-Ratsherr Martin Schiller, „war so etwas wie unser Sorgenkind. Mal euphorisch, mal tief betrübt. Er hatte psychische Probleme.“

Der Schauspieler Bellinghaus sieht sich dagegen in der Nachfolge eines Günter Wallraff: "Die AfD ist ein brauner Haufen frustrierter, einsamer Rentner. Die wenigen Damen die sich dorthin verlaufen, scheinen irgendwie sehr einsam zu sein. Eine dieser Damen wollte mich ständig zu sich nach Hause einladen und mir Ihre Originalausgabe von Adolf Hitler's  'Mein Kampf' zeigen. Kein Witz. Ich bin so glücklich dass das alles für mich jetzt vorbei ist! Wenn ich einen potenziellen Wähler davon abhalten kann, diese Partei zu wählen, hat sich das Jahr gelohnt.“

Der Monroe-Sammler

Mark Bellinghaus hat nach eigenen Angaben in den USA als Blogger vor elf Jahren eine geplante Wanderausstellung mit Erinnerungsstücken an Marilyn Monroe angezeigt und letztendlich, und nach langem Kampf gestoppt. Die Ausstellungsstücke seien Fälschungen gewesen. Die Aufdeckung hatte zu einem Skandal und zu einer 100-Millionen-Dollar-Klage geführt, wie der Schauspieler erklärt. Dies habe er alles erfolgreich durchgestanden. Eine weltweite und jahrzehntelang dauernde Tournee der Fälschungen (die auch nach Deutschland touren wollten), wurde abgesagt.

Derzeit bereitet Bellinghaus nach seinen Angaben ein Buch vor. Arbeitstitel: "Petry Unheil. Mein Jahr in der AfD." 

Weiterführende Berichte über  diese Verfahren finden sich noch im Internet unter den folgenden Adressen:

http://articles.latimes.com/2005/nov/11/entertainment/et-marilyn11

http://articles.latimes.com/2006/mar/23/entertainment/et-monroe23/3

http://articles.latimes.com/2005/jun/05/local/me-monroe5

http://blogcritics.org/marilyn-monroes-memory-defrauded-in-long/

http://blogcritics.org/marilyn-monroe-exhibit-exposed-as-875/

http://www.geowis.de/product_info.php?products_id=664

http://www.skeptic.com/eskeptic/06-04-27/

http://www.skeptic.com/eskeptic/08-10-01/

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