Vorfall bei Fußballturnier
Sexueller Übergriff: Eine Münsteranerin und die Frage nach dem Warum
Münster
Es war nur ein kurzer Moment, doch der beschäftigt Mara noch lange: Mitten in einem dichten Menschengedränge eines Fußballturniers fasst ihr ein unbekannter Mann an den Hintern. Im Gespräch erzählt sie, was das in ihr ausgelöst hat.
30. Dezember 2022, Finaltag bei den Stadtmeisterschaften im Hallenfußball: 3300 Menschen füllen die Halle Berg Fidel in Münsters Süden, auch Mara (Name von der Redaktion geändert) ist mit einem Freund dort. Kurz vor 21 Uhr gibt es eine Pause, die Zuschauer strömen zu den Getränke- und Essensständen im Eingangsbereich.
Mara sagt: „Die Gänge waren sehr voll, auf der einen Seite bewegten sich die Menschen in die eine Richtung, auf der andere Seite in die entgegengesetzte Richtung. Es war kaum Platz.“ Dann passiert das, was Mara noch lange beschäftigen wird. „Auf einmal merkte ich, wie mir jemand an den Hintern fasst. Es hat sich so angefühlt, als würde er seine Finger in meinen Hintern bohren. Es ging entweder über längere Zeit oder passierte mehrmals hintereinander – das kann ich nicht mehr genau sagen.“
Mara dreht sich sofort um, sagt dem jungen Mann, der hinter ihr steht, dass so etwas nicht witzig sei. Ein Satz, mehr fällt nicht zwischen den beiden. Der vermeintliche Täter sagt gar nichts, sondern hebt nur die Hände. „So wie ein Fußballer, der ein Foul nicht begangen haben will“, beschreibt Mara. Sie sagt: „Der Mann wirkte ertappt. So, als lege er bewusst den Rückwärtsgang ein.“ Weil die Menge in Bewegung ist, kann sie den Mann nicht weiter zur Rede stellen. Sie sagt ganz offen: „Ich wollte in dem Moment nur noch da weg. Es war mir zu viel.“
„Warum hat er das getan?“
Mara schließt zu ihrem Freund auf, der ein paar Meter weiter vorne läuft, und erzählt ihm alles. Der Täter ist da schon wieder in der Menge verschwunden. Aber: Sie und ihr Freund erkennen ihn wieder, als sie zurück auf ihren Plätzen sind. „Er saß uns schräg gegenüber und trug eine auffällige Jacke“, sagt Mara. In der Folge – das Turnier läuft noch etwa eineinhalb Stunden – schaut sie eher zu dem Mann herüber als dem sportlichen Geschehen zu folgen. „Ich habe die ganze Zeit gedacht: Warum hat er das getan?“
Der Abend ist für Mara gelaufen. Sie und ihr Freund machen sich schon vor dem Ende der Veranstaltung auf den Weg nach draußen. „Ich wollte mich auf gar keinen Fall noch mal durch das Gedränge schieben müssen“, sagt sie.
„Es war sehr erniedrigend“
Die Bilder im Kopf bleiben, das Gefühl sowieso. „Es war sehr erniedrigend“, sagt Mara. Sie liegt am nächsten Morgen schon früh wach und googelt, was sie tun kann. Sie schreibt der Instagram-Seite „Münster Dings“ von ihren Erlebnissen und bittet die Administratoren darum, bei den fast 44.000 Followern vor der anstehenden Silvesternacht die Sinne für sexuelle Übergriffe zu schärfen. Am Abend werden vielerorts Menschenmassen zusammenkommen – und Mara sagt: „Wenn mir so etwas passiert, passiert es auch vielen anderen Frauen.“
Stellungnahme des 1. FC Gievenbeck
Sie selbst hat ein für alle Mal genug. Beim Joggen, im Supermarkt, im Nachtclub – schon oft hat Mara Szenen wie in der Halle Berg Fidel erlebt. Mal waren es körperliche Übergriffe, mal verbale. „Meine Reaktion darauf war bisher, dass ich der Situation entkommen wollte. Zum Beispiel, indem ich den Club verlassen habe. Bisher habe ich die Männer nicht darauf angesprochen und für Konsequenzen gesorgt“, sagt sie. Mara fragte sich eher: „Habe ich vielleicht etwas falsch gemacht?“
Wut auf den Täter – und auf sich selbst
Auch dieses Mal kreisen ihre Gedanken. Als sie darüber spricht, schnappt sie sich einen Pullover. „Mir ist kalt“, erklärt Mara. Oder lässt sie doch das Reden über ihre Erlebnisse erschaudern? Sie spricht über Wut – auf den Täter, auf sich selbst. „Ich hätte mehr machen sollen“, meint Mara. Sie spricht über ein Gefühl der Ohnmacht. Sie spricht über Unverständnis. Manche Reaktion auf den Vorfall wirke, als wollten einige das Ganze unter den Teppich kehren.
Die schlechten Gedanken schiebt Mara nach und nach zur Seite, ein mühsamer Prozess. Gespräche mit Freunden und Familie bestärken sie in ihrer Haltung. Mara hat keine Lust mehr, sich in ihrem Alltag einschränken zu lassen. Sie nippt an ihrem stillen Wasser, schaut aus dem Fenster und berichtet: „Ich gehe nicht mehr gerne in Nachtclubs, fühle mich in Menschenmassen sehr unwohl und wechsle die Straßenseite, wenn mir abends Männergruppen entgegenkommen.“ Damit nicht genug. Mara sagt: „Manchmal frage ich mich, ob ich eine kurze Hose nun anziehen kann oder ob sie nicht doch zu aufreizend ist. Aber das ist natürlich der völlig falsche Ansatz.“
Mara erstattet Anzeige bei der Polizei
Sie hat sich fest vorgenommen, ab jetzt „eine Null-Toleranz-Grenze“ zu ziehen. Mara sagt: „Wenn mir das nächste Mal etwas ähnliches passiert, mache ich auf jeden Fall einen Aufstand. Nicht gewalttätig, aber so dass die Umstehenden darauf aufmerksam werden, dass da etwas passiert ist.“ Sie will dann auch den Veranstalter ausfindig machen und die 110 wählen.
Fünf Tage nach dem Vorfall bei den Stadtmeisterschaften geht Mara zur Polizei, erstattet Anzeige und nennt auch den Namen des Mannes, den sie für den Täter hält. Sie hat ihn identifiziert. Nachdem sie die Wache verlassen hat, spricht sie von einem besseren Gefühl. Sie wirkt erleichtert.
Eine Polizistin hat in aller Ruhe Maras Aussage aufgenommen. Die unangenehme Frage „Bist du sicher, dass er es wirklich war?“ ließ sich nicht vermeiden. Aber: Mara ist sich sicher.
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