Schnell – trotz Behinderung
„Mobilität ist Freiheit für mich“
Münster-Gievenbeck
Er ist mit einer Behinderung zur Welt gekommen. Aber Ludwig Lübbers, Studienrat am Freiherr-vom-Stein-Gymnasium hat sich nicht unterkriegen lassen. Er radelt, fährt Auto und im Urlaub am liebsten in die Sonne. Die Geschichte eines ungewöhnlichen Lehrers.
Als kleiner Junge durfte Ludwig Lübbers beim Fußball nicht immer mitspielen – zumindest dann nicht, wenn es ernst wurde. Das Kind mit den krausen Haaren war langsamer als die anderen und hatte erst viel später – mit drei Jahren – auf einer Prothese laufen gelernt. Denn Ludwig Lübbers kam anders zur Welt als seine drei Geschwister – ohne Hände, ohne Unterarme und mit nur einem Bein.
Knapp 40 Jahre später steht Lübbers in seiner Wohnung. Der mittelgroße Mann mit breiten Schultern lächelt offen. Auch, weil andere Berührungsängste haben. Er trägt einen Pullover mit gekürzten Ärmeln und streckt zur Begrüßung den rechten Armstumpf aus. Seine elektromechanische Beinprothese ist unter der Jeans verborgen, die andere Prothese zum Duschen steht drei Meter weiter. Alle zwei Tage muss die elektrische Gehilfe aufgeladen werden, damit sie eine natürliche Beinbewegung nachahmen kann.
Rasch klemmt er sich einen Rotstift auf dem Tisch zwischen die Armstümpfe, räumt dann die Karo-Hefte weg. Lübbers ist Mathe- und Politiklehrer am Freiherr-von-Stein-Gymnasium. „Meine Schüler sehen immer nur die Dinge, die ich kann. Aber nicht das, was ich nicht kann“, sagt er.
Er will kein Mitleid, redet lieber darüber, was er kann. Zwischendurch rutscht es dann doch heraus: „Es sind einfache Sachen: Zehennägel schneiden, Essen kochen, eine Glühbirne wechseln“, sagt er. Dazu braucht er andere Menschen. „Aber wenn ich mit Menschen zusammen bin, dann kann ich alles.“
Vieles schafft Lübbers alleine, Jacken zieht er einfach über den Kopf. „Wenn ich aber den Reißverschluss weiter zugezogen haben will, muss ich fremde Leute ansprechen“, sagt er. In der Pause lässt der Studienrat Mandarinen schälen. Die isst er gerne, aber alleine kann er die Früchte nicht schälen.
Draußen vor seinem Haus steht sein silberner VW, damit fährt der Lehrer jeden Tag in die Schule. Das Auto hat eine Schlaufe, um die Tür zuzuziehen, verlängerte Hebel für Blinker und Schaltung und zwei Kuhlen am Lenkrad, in die er seine Armstümpfe legt. „Mobilität ist Freiheit für mich“, sagt Lübbers. Der Schlüssel zu einem selbstbestimmten Leben.
Viele Schwerbehinderte seien auf Fahrdienste angewiesen, „die haben dann nur ein bestimmtes Kontingent an Fahrten im Monat“. Auch er selbst war lange auf andere angewiesen, den Führerschein hat er später gemacht als seine Schulfreunde. Ein umgebautes Auto musste her. „Ich würde gerne einmal Porsche fahren. Aber ohne Umbau geht das nicht“, sagt er, „Luxusprobleme.“
Wenn Ludwig Lübbers in den Urlaub fahren will, dann schaltet er eine Anzeige und sucht nach einer Reisebegleitung wie im Film „Ziemlich besten Freunde“. „Ich bin zwar kein Millionär, aber fahre selbst noch Auto“, sagt er. Der 45-Jährige fährt gerne ins Warme, an den Strand, nach Sardinien; bald auch nach Ägypten – zum Tauchen. Er lebt allein und zahlt den Urlaub dann doppelt, für sich und seine Reisebegleitung.
Was Lübbers dazu braucht, ist Geld. „Ich bin in einer privilegierten Situation, habe ein Einkommen und bekomme 400 Euro Pflegegeld im Monat“, sagt er. Das reicht für seinen Nachbarn Andreas, der ihn als „Assistent“, wie Lübbers ihn nennt, im Alltag unterstützt. Aber auch seine Hemden müssen umgenäht werden und er braucht Spezial-Schuhe, auch das kostet Geld. „Ich bin ökonomisch privilegiert. Wenn ich kein Geld hätte, dann wäre ich auch nicht mobil“, sagt er.
Andere Menschen mit Behinderung hätten auch hohe Sonderausgaben, dürften aber nicht mehr als 2600 Euro Vermögen besitzen, wenn sie Bezieher von persönlichem Budget sind.. Lübbers will für eine Gesetzesänderung kämpfen. „Wenn ich kein Geld mehr hätte, wäre ich auch nicht mobil und flexibel“, sagt er.
Das Fahrrad, das vor seiner Wohnungstür steht, hat mehrere Tausend Euro gekostet. Ohne Zuschuss der Krankenkasse. Eine Sonderanfertigung nach seinen eigenen Entwürfen: Ein weißes Plastikzahnrad erleichtert das Schalten, der Elektro-Antrieb schiebt und der Lenker ist an die Arme angepasst. Von hinten verraten nur die Stützräder – „mit besonders schnellen Reifen“ – das außergewöhnliche Fahrrad. Lübbers: „Das bringt ein ganz neues Lebensgefühl.“
Besonders im Sommer erregt Lübbers mit seinem Fahrrad Aufmerksamkeit. Denn dann ist zwischen Schuh und kurzer Hose die silberne Prothese zu sehen. Mit dem rechten Bein tritt er, das linke Bein mit spitzerem Prothesen-Knie ist mit einem Gurt am Pedal festgemacht und läuft einfach mit. Nur, wenn er mit Freunden radelt, muss er einen Gang zurückschalten, sonst ist er mit dem Elektromotor zu schnell. „Behinderte müssen auch einmal überlegen sein“, sagt er, grinst und überholt zwei Leezen auf dem Radweg.
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