Nachrichten Münster
Täter nicht als Opfer verklären
Münster - Es ist der denkbar schlechteste Zeitpunkt für ihren Protest. Es ist still im Festsaal des Rathauses, Winfried Nachtwei hat gerade das Podium verlassen, nach einer sehr kritischen, sehr differenzierten Rede zum Volkstrauertag. „Vor 20 Jahren“, hatte der Grünen-Politiker, der ehemalige Bundestagsabgeordnete und Experte für Friedens- und Sicherheitspolitik, gerade noch gesagt, „wäre mein Auftreten hier nicht denkbar gewesen.“ Aber auch: „Die Zeit, in der Opfer nur Opfer waren, ist lange her.“
Es sind Sätze, die berechtigte Kritik enthalten und Mahnung dafür sind, in keine zu eindimensionale Sichtweise zu verfallen, darauf zu achten, an solchen Gedenktagen Täter nicht zu Opfern zu verklären, zu differenzieren. Es sind Sätze, die viele im Saal nachdenklich machen, aber an Linken-Sprecher Olaf Götze und Linken-Ratsfrau Iris Toulas wohl spurlos vorübergehen - die auf die Bühne eilen und ein Spannbettlaken mit dem Satz „Soldaten sind auch Täter“ ausrollen.
Bereits vor der Gedenkfeier im Rathaus, bei der Kranzniederlegung am Denkmal des 13. Infanterieregiments auf der Promenade, hatten die Linken gestern versucht zu protestieren, wurden von der Polizei aber daran gehindert.
Dabei war zum ersten Mal die Ansprache am Denkmal nicht von einem Mitglied der Bundeswehr gehalten worden, sondern von dem Niederländer Erjan ter Harmsel, Major beim deutsch-niederländischen Korps. „Das sollte deutlich machen, dass es um alle Opfer von Krieg und Gewalt geht, egal welcher Nation, egal zu welcher Zeit“, erklärte ter Harmsel.
Linken-Sprecher Olaf Götze betonte gegenüber unserer Zeitung, dass die Linke nicht generell gegen Gedenktage sei, sondern vor allem gegen den Ort der Kranzniederlegung (das Denkmal erinnert an die gefallenen Soldaten des deutsch-dänischen Krieges sowie des Ersten Weltkriegs) und gegen die militärischen Ehren. Zudem hätte die Linke damit auch gegen die derzeitigen Kriege protestieren wollen.
Um einiges konstruktiver, vor allem aber differenzierter waren die Ansprachen von Bürgermeister Holger Wigger und Winfried Nachtwei im Rathaus. „Es gab und gibt Kriege, und die Erinnerung daran muss Anlass dazu sein, sich für ein friedliches Miteinander einzusetzen“, erklärte Wigger.
Auch Nachtwei betonte, dass der Friede genauso wenig eine Selbstverständlichkeit sei wie die zahllosen Opfer in der Vergangenheit kein Naturereignis, sondern durch Menschenhand, durch Gleichgültigkeit und Wegschauen verursacht worden seien.
Während aber alle Augen auf den „Guerillakrieg“ in Afghanistan gerichtet seien, gebe es gleichzeitig „vergessene Weltgegenden“ wie den Ost-Kongo, „eine Hölle auf Erden“, wie Nachtwei betonte, wo Massenvergewaltigungen Kriegstaktik seien.
Obwohl viel erreicht worden sei, beispielsweise durch das Ziel der kollektiven Friedenssicherung der Vereinten Nationen oder durch die europäische Integration, gebe es eben keinen Grund zur Selbstzufriedenheit. Eines stehe aber fest: „Man braucht kein Held zu sein, um sich mitmenschlicher zu verhalten.“
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