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„Liebe in den Kühlschrank“

Veganes Leben - Mettendchen mit Happy End

Münster

Von Gerhard H. Kock

Münster - Im Juli eröffnete in Berlin mit dem „Veganz“ ein Supermarkt-Vollsortimenter, der ausschließlich Nahrungsmittel aus Pflanzen anbietet. Mit 100 Kunden pro Tag wurde kalkuliert, an die 500 kommen täglich. Auch in Dortmund gibt es mit dem „Vegilicious“ einen veganen Supermarkt. Und Karen Duves Selbstversuch „Anständig essen“ ist ein Bestseller.

Am Weltveganertag (1. November) vor einem Jahr hat Christian Vagedes die „Vegane Gesellschaft Deutschland“ gegründet. Der 37-jährige Designer ist in Münster aufgewachsen (seine Eltern leben hier) und lebt heute mit seiner Frau und zwei Kindern in der Nähe von Hamburg. Über das Phänomen sprachen die Westfälischen Nachrichten mit dem Vorsitzenden, dem am Samstag (29. Oktober) in Berlin der „Utopia Award 2011“ unter anderem für sein Buch „Veg up - die Veganisierung der Welt“ verliehen wurde.

Sie haben die Vegane Gesellschaft Deutschland gegründet. Warum?

Vagedes: Die Zeit für die Verbreitung der veganen Idee ist reif, weil sie so viele Lösungen für so viele Herausforderungen bietet.

Wie viele Mitglieder hat und wie verbreitet ist sie?

Vagedes: Im Moment hat die Vegane Gesellschaft im Bundesgebiet annähernd 100 örtliche Basisgruppen, in denen sich Menschen zwanglos zusammenfinden, um gemeinsam zu kochen, andere Menschen zu informieren und aktiv an der Verbreitung der veganen Idee mitzuwirken. Einen Mitgliedszwang zum Dabeisein gibt es nicht, wohl aber haben wir mittlerweile eine stattliche Anzahl von freiwilligen Förderern und Ehrenamtlichen sowie Fachkreise.

Was sind die Ziele der Gesellschaft?

Vagedes: Wir betreiben Aufklärungsarbeit und dienen als gemeinnützige Organisation dem Tier-, dem Umweltschutz und der Gesundheit. Vor allem möchten wir Menschen begeistern, und das gelingt uns mit dem Motto „Bring Liebe in Deinen Kühlschrank“ auch sehr gut.

Wie sind Sie persönlich zur Veganismus gekommen?

Vagedes: Ich mag den Begriff Veganismus nicht so gern, das klingt mir zu ideologisch. Wenn man sich ernsthaft mit dem Hungern von Menschen, dem Leiden von Tieren und mit dem Zustand der Biosphäre auseinandersetzt, dann bleibt einem eigentlich gar nichts anderes übrig, als auch einmal gründlich über sein persönliches Verhalten nachzudenken. Als meine Kinder sich vor etwa elf Jahren ankündigten, machte es bei mir irgendwann klick, und seitdem habe ich mein Leben grundlegend geändert.

Warum wird gerade jetzt eine vegane Ernährung zum Trend?

Vagedes: Das zuvor geschilderte Erlebnis teilen auf die eine oder andere Art und Weise immer mehr Menschen. Die Veganisierung ist eine große Chance, die Situation auf unserer Welt ein bisschen zu verbessern, sie ist zwar kein Allheilmittel, aber ein Heilmittel für einige der bedeutendsten Herausforderungen. Insofern würde ich eher von einem Bewusstseinswandel statt nur von einem Trend sprechen.

Fühlen Sie sich moralisch anderen Menschen überlegen?

Vagedes: So gesehen natürlich nicht, denn in Anbetracht der langen Zeit, in der ich mich nicht vegan ernährt habe, ist schon der Zeitraum viel zu kurz für solche Gedankenspiele, das wäre ja anmaßend. Allerdings gehöre ich auch nicht zu den Menschen, die Angst vor Moral haben. Ich würde aber umgekehrt sagen, dass Menschen, die sich mit dem Thema auseinandersetzen und dann dennoch gedankenlos weiter leben wie bisher, sich in einem moralischen Dilemma befinden. Das haben sie aber für sich allein zu entscheiden. Vermutlich wird aber der gesellschaftliche Druck in den nächsten Jahren zunehmen, wenn, was ich annehme, die Akzeptanz für die vegane Lebensweise immer weiter ansteigt.

Warum kann man nicht unbedenklich Milch, Eier und Fleisch konsumieren?

Vagedes: Für mich persönlich kommen Eier nicht in Frage, weil allein in Deutschland laut dem Nachrichtenmagazin Spiegel jedes Jahr 40 Millionen männlicher Küken für die Produktion von Legehennen sterben müssen, und dann werden ja auch die Legehennen selbst noch geschlachtet. Für Milch und tierbasierte Molkereiprodukte sterben männliche Kälber und nach kurzer Zeit auch die ausgemergelten Mutterkühe, wenn ihre Leistung nicht mehr stimmt. Und was Fleisch und Fisch angeht, so möchte ich durch mein Konsumverhalten möglichst nicht am erzwungenen Tod von fühlenden Lebewesen beteiligt sein. Es kommt für mich hinzu, dass die Regenwälder vor allem abgeholzt werden, weil man dort Futtermittel anbaut, dass wir aus zehn Kilo Pflanzenprotein ein Kilo Tierprotein herstellen, obwohl alle 15 Sekunden ein Kind an Hunger stirbt und wir die Zahl von sieben Milliarden Menschen auf unserem Planeten gerade überschreiten. Laut OECD müssen wir die Nahrungsmittelproduktion noch einmal verdoppeln, um bis 2050 alle Menschen rein rechnerisch satt machen zu können, was uns aufgrund der ungerechten Verteilung und wider besseren Willens so schon nicht gelingt. Das geht meines Erachtens nur vegan, und vegan zu leben ist für mich daher auch eine Selbstverständlichkeit aus Menschenliebe heraus.

Sind Veganer nicht genussfeindliche Spaßverderber?

Vagedes: Die Genussfeinde sind längst in der Minderheit, während es weltweit immer mehr vegane Goumets und Genießer gibt, denn wenn man vegan wird, entdeckt man eine ganze Welt vollkommen neu. Selbst nach vielen Jahren entdecken wir zu Hause immer mehr vegane Rezepte. So viele Koch- und Backerlebnisse hatten wir als Noch-nicht-Veganer nie. Vegan sein kann einen glücklicher machen und viel Freude bereiten. Beinahe alles, was mir vorher Spaß machte, habe ich heute auch - sogar vegane Mettwürstchen zum Grünkohl. Aber da ich mich heute insbesondere vor toten Tierteilen ekele, würde ich umgekehrt keinen Genuss am Verzehr dieser Teile empfinden können. Oder anders gesagt: Produkte, unter denen andere leiden müssen, haben für mich keinen Spaßfaktor.

Wie gefährlich ist das Weglassen tierlicher Nahrungsmittel?

Vagedes:Für die Fleisch- und Milchindustrie sehr gefährlich. Aber Spaß beiseite: Die größte Ernährungsorganisation der Welt hat ja schon vor vielen Jahren Entwarnung gegeben, dass mit der veganen Ernährung keine Gefahren verbunden sind. Vielmehr ist es doch so, dass die Vorteile auch hinsichtlich der Gesundheit überwiegen. Denken Sie nur an Bill Clinton, der jetzt als Veganer mit seiner koronaren Herzerkrankung sehr gut zurecht kommt. Wir lassen uns zu Hause regelmäßig ärztlich untersuchen und die Werte sind prima. Als Veganer sollte man wie jeder andere auch auf eine ausgewogene und vollwertige Ernährung achten und falls nötig Vitamin B12 supplementieren, was aber auch für viele Nichtveganer sinnvoll sein kann.

Fordern sie gesetzliche Regelungen?

Vagedes: Würden wir Paragraf 3 des Tierschutzgesetzes ernst nehmen, nämlich, dass es „vernünftiger Gründe“ bedarf, ein Tier zu töten, so müssten wir die Massentierhaltung sofort einstellen. Denn vernünftig kann ich das nicht nennen, wenn man als Gesellschaft Produkte herstellt, die unsere Biosphäre in ihrer Existenz bedrohen, Tiere unnötig quälen und ein Problem hinsichtlich der Welternährungsgerechtigkeit darstellen. Aber um auf ihre Frage zurückzukommen: Ich selbst setze mehr auf die Kraft des menschlichen Denkens und Herzens statt auf Paragrafen.

Ist der Veganismus eine Bedrohung für die Landwirte?

Vagedes: Nur auf den ersten Blick. Würden wir nichtvegane Produkte nicht künstlich subventionieren, würden die Landwirte damit ja noch weniger Geld verdienen, als sie das heute schon tun. Die Veganisierung bietet uns auch große neue wirtschaftliche Chancen, und sie kann dazu beitragen, die Ackerflächen von einem Zuviel an Chemie und der Gülle zu befreien. Dank hervorragender Forscher des Frauenhofer Instituts ist Deutschland gerade Vorreiter für den nächsten Schritt in Richtung wirtschaftlicher Veganisierung. Das Institut hat ein Patent zur Isolierung von Eiweiß aus Süßlupinen angemeldet, und ein veganes Speiseeis ist bereits erfolgreich im Handel platziert, Quark und weitere Molkereispeisen sollen folgen. Der Anbau von Süßlupinen kann für Landwirte eine interessante Option sein, und dauerhaft wäre das vielleicht auch etwas für den Export. Ich habe einige Höfe mit Tierhaltung besucht und muss gestehen, dass hinter vorgehaltener Hand einige Landwirte sofort aus der Tierausnutzung aussteigen würden, wenn sie eine Perspektive bekämen. Daran muss man arbeiten, und das Lupinen-Beispiel zeigt ja, wie das perspektivisch gehen kann.

An welchen Zeiträume denken Sie bei Ihrer Welt-Veganisierung?

Vagedes:Das liegt an uns selbst, denn unter der Veganisierung der Welt verstehe ich ja nichts, was verordnet wird, sondern einen sehr individuellen Akt, der in Freiheit aus Einsicht heraus geboren wird. Mein Vertrauen in Menschen ist ziemlich groß, entsprechend auch meine Hoffnung. Ich kann alle Widerstände verstehen und nachvollziehen, weiß aber auch um die Bedeutung der veganen Idee als Chance, und deshalb glaube ich an die Kraft der Veränderung. Es werden ja dauernd mehr Menschen, die mitmachen.

Ist es nicht naiv, zumindest illusionär zu glauben, die ganze Welt vom Fischessenden Japaner bis zum Burger vertilgenden Amerikaner werde eines Tages nur noch Pflanzen essen?

Vagedes:Auch in Japan tut sich etwas, und in Tokyo bekommen Sie längst veganes Sushi. Die Japaner werden letztlich ebenso wenig wie wir wollen, dass die Weltmeere leergefischt werden. In den USA ist vegan unaufhaltsam, und vegane Hamburger schonen nicht nur die Tiere und die Umwelt, sondern können auch hilfreich sein, um auf das Normalgewicht zurückzukommen. Insofern ist das nicht naiv, aber in der Weltgeschichte werden wichtige Ideen immer zuerst als naive Ideen bezeichnet, das ist ja nichts Neues.

Sie sind mitten im Münsterland, einer Region der Veredelungsbetriebe groß geworden. Glauben Sie Mettendchen und westfälischer Schinken werden irgendwann aus Tofu und Getreide hergestellt?

Vagedes: Absolut. Und das ist für den Standort auch eine große Chance. Herausfordernd ist ja nicht das Mettendchen und der Schinken als solcher, sondern, dass im 21. Jahrhundert trotz aller technologischen Möglichkeiten noch Mettendchen und Schinken aus Teilen toter Tiere produziert werden. Warum nicht Mettendchen mit Happy End aus veganen, im Idealfall bio-veganen Rohstoffen herstellen? Das wäre nicht nur ein Dienst am westfälischen Geschmack, sondern auch an der Welt. Darüber würde ich mich sehr freuen und ich hatte bereits das große Glück einen veganen Schinken auf Holzlukenbrot zu kosten. Das war noch schöner als früher bei Muttern.

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