Prozess in Münster
Vor 50 Jahren: Kriegsverbrecher vor Gericht
Münster
Vor 50 Jahren begann in Münster einer der größten Kriegsverbrecher-Prozesse der Nachkriegszeit. Die 311 Seiten lange Anklageschrift listete monströse Grausamkeiten auf.
Die 311 Seiten lange Anklageschrift ist ein Dokument des Horrors. Die 18 Männer, die im April 1966 – also vor genau 50 Jahren – auf der Anklagebank des Landgerichts Münster Platz nehmen, sollen für den Tod von mehr als 80 000 Juden im ostgalizischen Stanislau (heute Ukraine) verantwortlich sein. Das Medieninteresse ist gewaltig, der Saal muss umgebaut werden, um alle, die die für zunächst zehn Monate angesetzte Verhandlung verfolgen wollen, aufnehmen zu können.
Aus den zehn Monaten werden schließlich zwei Jahre. Drei der zuletzt 14 Angeklagten werden zu lebenslanger Haft verurteilt, darunter der Hauptangeklagte Hans Krüger. Als Leiter der Sicherheitspolizei in Stanislau soll er zwischen August 1941 und Frühsommer 1942 für 24 975 Morde verantwortlich gewesen sein.
Krüger wohnt nach Kriegsende in Lüdinghausen, ist als Kaufmann in der Baubranche tätig, engagiert sich in verschiedenen Parteien. Ein vermeintlich unbescholtener Bürger. Doch dann erscheint in Israel ein Buch über die deutschen Gräueltaten in Stanislau. 1959 nimmt die Staatsanwaltschaft Dortmund Ermittlungen auf, 1962 kommt Krüger in Untersuchungshaft. Als der Prozess beginnt, ist er 56 Jahre alt.
Die Vorwürfe, die ihm und den weiteren Angeklagten gemacht werden, sind monströs: Erschießung von 80 000 Juden, 40 Massenexekutionen, 30 Einzelmorde – begangen aus Geltungssucht und Sadismus.
Krüger soll zudem aus „reiner Belustigung“ von seinem Balkon aus einen Juden erschossen haben, außerdem habe er eine 26-jährige Jüdin an den Schwanz eines Pferdes gebunden und zu Tode geschleift sowie eine andere Jüdin niedergeschossen, weil sie einem Gefangen Brot zuwarf.
Verhandelt wird auch der „Blutsonntag von Stanislau“, der als Beginn der „Endlösung“ in dieser Region gilt: Am 12. Oktober 1941 waren bis zu 12 000 Juden erschossen worden.
„Ja, wir waren das Herrenvolk“, sagt Krüger, Vater von vier Kindern, vor Gericht aus. Nicht Schuldeingeständnis, Scham oder Reue bestimmen seine Aussagen, sondern Lügen und Rechtfertigungsversuche. Mehr noch: Er macht die jüdischen Opfer für die Erschießungen verantwortlich. Diese hätten „Schandtaten“ an den Deutschen geplant und würden noch immer, während des Prozesses, versuchen, die Zeugen dieser „Schandtaten“ – nämlich die Angeklagten – mundtot zu machen. Jegliche Teilnahme an Erschießungen bestreitet Krüger. Im Übrigen sei die Zahl von 12 000 Opfern beim „Blutsonntag“ falsch: Bei „systematischer Schichtung“ hätten lediglich 6544 Leichen in die Gruben gepasst.
Krügers Aussagen sind an Zynismus und Menschenverachtung nicht zu überbieten. Ihnen gegenüber stehen die Aussagen der Überlebenden, die ihn schwer belasten. Die Zeugen sind aus den USA, Israel und anderen Ländern angereist, um die Angeklagten mit ihren grauenhaften Taten zu konfrontieren. „Die Stanislauer Gestapo war die ärgste in ganz Europa“, sagt Jerry Spiegel, Präsident der Stanislauer Juden. Von den 130 000 Juden, die vor dem Krieg dort lebten, überlebten nur 66.
Viele Zeugen erkennen Krüger auf Anhieb wieder – darunter Juden, denen es gelang, schwer verletzt aus den Massengräbern zu kriechen. Die Verteidiger der Angeklagten bescheinigen den Zeugen im Gegenzug, „psychisch anomal“ zu sein und die Vorwürfe frei zu erfinden.
So geht das zwei Jahre. Am Ende müssen neben Krüger zwei weitere Angeklagte lebenslänglich ins Gefängnis. Nach 18 Jahren – 1986 – wird Hans Krüger aus der Haft entlassen. Am 8. Februar 1988 stirbt er in Wasserburg am Bodensee.
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