Schul-Lockdown
Eltern klagen gegen Distanzunterricht
Bielefeld
Juristin Dr. Nicole Reese, Dozentin an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung in Bielefeld, ist erklärte Gegnerin des Schul-Lockdowns. Mit einer Gruppe weiterer Eltern will sie eine sogenannte Normenkontrollklage am Oberverwaltungsgericht in Münster einreichen.
Bei Familie Reese begann Tag eins des Schul-Lockdowns holprig. „Jakob saß um 7.50 Uhr vor seinem Rechner und wartete auf die Mathelehrerin, aber die Online-Plattform war überlastet, jedenfalls funktionierte sie nicht“, sagt die Juristin Dr. Nicole Reese, Dozentin an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung in Bielefeld. Die Lehrerin ihres Sohnes sei allerdings sehr engagiert und habe Probleme vorausgesehen. „Sie hat schon Ende der Woche Internetlinks verschickt und konnte sofort auf Zoom umsteigen.“
2,5 Millionen Kinder und Jugendliche sollen seit Montag in NRW aus der Ferne unterrichtet werden. Doch wegen erwarteter Schwierigkeiten verschoben manche Schulen den Start. „Bei unseren anderen drei Kindern fiel der Unterricht aus“, sagt Reese. Die Dozentin ist erklärte Gegnerin des Schullockdowns und gehört zu einer Gruppe von Eltern, die am Mittwoch eine Normenkontrollklage beim nordrhein-westfälischen Oberverwaltungsgericht in Münster einreichen wollen. „Wir fordern, dass unsere Kinder trotz Corona vernünftig unterrichtet werden. Das geht online nicht“, sagt die 46-Jährige. „Nicht jede Familie kann sich für jedes Kind einen Computer oder ein Tablet leisten.“
Erfahrene Anwältin beauftragt
Mehr als 10.000 Euro haben Nicole Reese und andere Eltern innerhalb eines Tages nach einem Internetaufruf gespendet bekommen, um die Klage durchzufechten. Die Gerichtsgebühren betragen zwar nur etwa 800 Euro, aber das Verfassen der Klageschrift bedarf einer Expertin. Deshalb wurde die mit Normenkontrollklagen erfahrene Anwältin Jessica Hamed aus Mainz beauftragt.
Nicole Reese sagt, die Landesregierung habe nicht alle milderen Mittel ausgeschöpft, bevor sie die Schulen geschlossen habe. „Man hätte es mit täglichen Schnelltests für Lehrer, festen Schüler-Lehrer-Gruppen, versetzten Anfangszeiten und Unterricht in schulfremden Räumen probieren können.“ Solange die Industrie mit kompletten Belegschaften arbeiten dürfe, solange Zusammenkünfte mit bis zu 250 Menschen genehmigt würden, solange Busse und Bahnen jeden Tag voll seien – so lange sei es nicht vertretbar, Schüler in den Lockdown zu schicken. Es gebe sicher viele Kinder, die wegen fehlender Unterstützung durch ihre Eltern das Lerndefizit der nächsten Wochen nicht mehr aufholen könnten. „Da wird viel Schaden angerichtet.“
Skepsis ob des Erfolgs
Zu den Lerndefiziten komme, dass viele Eltern riesige Probleme hätten, die Kinderbetreuung zu organisieren. „Mein Mann und ich haben den Luxus, dass wir beim Land beschäftigt sind und Corona uns keine Existenzängste beschert.“ Aber die Organisation des Alltags sei ähnlich kompliziert wie in anderen Familien. „Ich musste meine Vorlesungen auf zwei Tage bündeln und bleibe die restlichen drei Tage zu Hause. Bei vier Kindern bleibt keine Zeit, Klausuren zu korrigieren oder Vorlesungen vorzubereiten. Damit fange ich abends um 22 Uhr an.“ Die restlichen beiden Tage übernehme ihr Mann, der bei der Staatsanwaltschaft arbeite, die Betreuung.
„Als Beamter kann man drei freie Tage pro Jahr für besondere Anlässe beantragen. Das hat er getan, aber die reichen nicht. Vielleicht muss er noch Urlaub nehmen.“ Theoretisch könne ihr Mann auch zu Hause arbeiten, aber die Justiz habe dafür zu wenig Computer. „Das hätte man alles schon seit Monaten vorbereiten können“, sagt Reese. Sie ist skeptisch, dass die von ihr mitorganisierte Klage Erfolg haben wird. „Das OVG tut im Moment alles, um die Politik zu stützen. Aber im Interesse unserer Kinder wollen wir es wenigstens versuchen.“
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