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Sprachdefizite

Jeder vierte Junge erhält Sprachtherapie

Münsterland

Dauer-Rumgedaddelan Handy oder Konsole und permanent-überbordender Fernseh-Konsum statt Reden und Vorlesen, das hat Folgen. Fast jeder Vierte der sechsjährigen Jungen in Westfalen-Lippe erhält eine Sprachtherapie. Im Münsterland schneidet der Kreis Coesfeld am schlechtesten ab.

Elmar Ries

Richtig sprechen ist gar nicht so einfach: Knapp jeder vierte sechsjährige Junge in Westfalen-Lippe erhält nach Krankenkassenangaben eine Sprachtherapie. Bei den gleichaltrigen Mädchen sind es knapp 18 Prozent. Foto: dpa

Die zunehmenden Sprachprobleme bei Kindern in Deutschland haben nach An­gaben von Experten eher soziale als physische Ur­sachen. Nach ei­ner Hochrechnung der Krankenkasse Barmer GEK hat inzwischen fast jedes achte Kind Sprachdefizite. Bei Jungen ist das Problem offenbar größer als bei Mädchen: Wie die AOK Nordwest erklärte, wiegen die Defizite bei fast jedem Vierten der sechsjährigen Jungen in Westfalen-Lippe so schwer, dass sie eine Sprachtherapie erhalten. Bei den gleichaltrigen Mädchen sind es 17,6 Prozent. Damit hat die Verordnung von Sprachtherapien für Kinder in den vergangenen zehn Jahren um ein Viertel zugenommen.

Im Münsterland schneidet der Kreis Coesfeld nach Angaben der AOK Nordwest am schlechtesten ab: 27,56 Prozent der dort lebenden sechsjährigen Jungen befinden sich in einer sprachtherapeutischen Behandlung. In Westfalen-Lippe kommt nur die Stadt Bottrop mit 28,86 Prozent auf einen noch höheren Wert. Im Kreis Borken erhält jeder vierte Junge (25,39 Prozent) eine Sprachtherapie, in den Kreisen Warendorf und Steinfurt sind es 21,53 beziehungsweise 19,62 Prozent. In Münster hat die Krankenkasse einen Bedarf von 19,96 Prozent diagnostiziert. Den niedrigsten Wert in Westfalen-Lippe hält die Stadt Hagen mit 15,77 Prozent. Woher die Unterschiede rühren, erklärt die Krankenkasse nicht.

Der Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte beobachtet seit Jahren eine Zunahme von Sprachdefiziten bei Kindern. Vor allem soziale Gründe wie mangelnde Deutschkenntnisse von Kindern mit ausländischen Wurzeln seien dafür verantwortlich. „Wir werden meist von Eltern bedrängt, ihre Kinder zum Logopäden zu schicken“, sagt Sprecher Hermann Josef Kahl. Der Verband aber sieht zuerst einmal Vater und Mutter in der Pflicht.

Viele Eltern förderten ihre Kinder nicht ausreichend und stellten schon Säuglinge mit Handyfilmchen ruhig. „Eltern müssen mit ihren Kindern sprechen, singen und lesen“, sagte Kahl. „Wer das versäumt, vernachlässigt sein Kind.“ Nicht Kitas und Schulen, sondern die Eltern stünden hier vor allem in der Pflicht. Ähnlich argumentiert Tom Ackermann, Vorstandschef der AOK Nordwest mit Sitz in Dortmund. „Auch wenn Sprachtherapien helfen können, Defizite der kindlichen Umwelt zu bewältigen, sollten verhaltens- und verhältnispräventive Maßnahmen in Kindergärten und Schulen sowie im Elternhaus in ihrer Wirkung nicht unterschätzt werden.“

90 Prozent der Eltern nehmen mit ihrem Nachwuchs die Vorsorgeuntersuchungen bei Kinderärzten wahr. Im Alter zwischen zwei und drei Jahren fielen dabei Sprachdefizite auf, weil Mediziner mit den Kindern reden. Dabei sei es bei Migranten manchmal schwer zu beurteilen, ob das Kind wirklich Sprachprobleme habe oder nur schlecht Deutsch verstehe, in seiner Muttersprache aber gut zurecht komme, so der Kinder- und Jugendärzte-Verband.

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