Geschichte des Unternehmens van Delden
Ruinöser Wettbewerb bedeutete das Aus
Die Familie van Delden hat – wie kaum eine andere – das Werden und Wachsen Gronaus geprägt und über Jahrzehnte mitbestimmt. Der kleine Ort an der Dinkel entwickelte sich durch die Ansiedlung der Textilindustrie zu einer modernen Industriestadt, in der Tausende von Menschen Arbeit und ein neues Zuhause fanden. Die Unternehmen Gerrit van Delden und M. van Delden nahmen dabei eine besondere Stellung ein. Während der Blütezeit der deutschen Textilindustrie gehörte der Delden-Konzern zu den 50 größten der Erde, Stoffe aus Gronau wurden – wie es in einem Werbefilm der Stadt aus den 1980er-Jahren heißt – in aller Welt geschätzt und getragen. Inzwischen ist der Glanz der Textilindustrie verblasst. Viele Menschen verloren bei ihrem Niedergang Anfang der 1980er-Jahre ihre Arbeit. Trotzdem lohnt ein Blick zurück in die Geschichte. Heute der zweite Teil.
Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurden in den Spinnsälen und den Vorwerken technische Verbesserungen und Neuanschaffungen an Maschinen vorgenommen. Klimaanlagen, die nicht nur die Raumluft verbesserten, sondern auch für eine geregelte Temperatur und Luftfeuchtigkeit zur Garnherstellung sorgten, installiert. Produziert wurden 1937 über 110 000 Tonnen. Von 1938 bis 1940 wurden die Mengen noch erhöht. Bis Ende 1940 wurde russische Baumwolle verarbeitet. Aber schon Jahre vorher hatte sich das Unternehmen auf die Verarbeitung von Zellwolle eingestellt, die der deutsche und österreichische Markt anboten. Gerrit van Delden sicherte sich durch eine Beteiligung an der Thüringischen Zellwolle AG den direkten Zugang zu einem der Lieferanten.
Die Produktion musste während des Zweiten Weltkriegs wegen Personalmangels und geringerer Zuteilung von Rohmaterialien und Kohlen verringert werden. Vor dem Krieg beschäftigte die Spinnerei und Zwirnerei 2700 Mitarbeiter, während die Belegschaftszahlen von 2144 (1939) auf 1268 (1942) und 554 (1945) stetig abnahmen.
1944 setzen Bombenangriffe auf das Werk ein. Stärkere Schäden erlitt das Unternehmen durch die Bombenabwürfe im März 1945. Sofort nach Kriegsende begann der Wiederaufbau. Ab 1951 wurden in Etappen die Werke mit teilweise erneuerten Maschinen und Einrichtungen wieder in Betrieb genommen. Stolz wurde die Erhöhung der Spindelzahlen mit 220 852 Spinn- und 112 948 Zwirnspindeln vermeldet.
Dr. Hendrik van Delden starb am 24. Januar 1950 in Gronau. Als Zeichen seiner Wertschätzung wurden vom Trauerhaus an der Enscheder Straße bis zum alten evangelischen Friedhof die Straßenlampen mit Trauerflor umhüllt. Eine endlos scheinende Trauergemeinde begleitete den Verstorbenen zur letzten Ruhestätte. Die Glocken beider Kirchen läuteten, und die Sirene der Fabrik sandte ihm einen Abschiedsgruß.
Nach dem Wiederaufbau des teilzerstörten Werkes in Gronau wurde in Ottenstein eine Weberei errichtet, die allerdings nicht lange betrieben wurde. Die verhältnismäßig kleine Weberei hatte keine Chance, am Markt zu bestehen.
Die Söhne Hendrik van Delden (1925 bis 2007 – Sohn von Gerrit van Delden) und Gerrit jun. van Delden (geboren 1943, Sohn von Nico van Delden) ergänzten 1950 bzw. 1967 die Geschäftsleitung.
Hendrik van Delden wurde als Primaner zum Wehrdienst eingezogen und kehrte als Pionierleutnant zurück. Zunächst befasste er sich mit Aufräum- und Instandsetzungsarbeiten im Werk Gronau. Danach studierte er am Textiltechnikum in Reutlingen. Nach dem Ingenieur-Examen belegte er Lehrgänge für Prüftechnik und Labor, bereiste die Schweiz und USA, um seine Fachkenntnisse zu erweitern und übernahm 1950 mit Einzelprokura die technische Leitung. Er wurde Mitinhaber und persönlich haftender Gesellschafter.
Gerrit van Delden jun., wie sein Vetter in Gronau geboren, absolvierte auf Spiekeroog sein Abitur, studierte Betriebswirtschaft in Köln und wurde 1969 als Mitinhaber persönlich haftender Gesellschafter. Sein Aufgabenbereich umfasste die Gebiete Buchführung und Bilanzierung, Kostenrechnung, Planung und Organisation.
Schon zeitig bemühte sich das Haus van Delden um Programmausweitung und Festigung der wirtschaftlichen Basis. 1956 wagte man sich an ein in den USA entwickeltes Verfahren zur Herstellung spezieller Teppichgarne. 1959 erwarb das Haus die Aktienmehrheit an der Baumwollspinnerei Eilermark – Beginn einer außergewöhnlichen Expansion.
Im Stammwerk wurde 1960 eine Kammgarnspinnerei eingerichtet. Nun wurden nicht nur Baumwoll-, sondern auch Streich- und Kammgarne hergestellt. Im größeren Rahmen produzierte Gronau Garne aus Chemiefasern oder in Mischungen mit Baumwolle.
Auf dem textilen Markt entwickelte sich inzwischen ein ruinöser Wettbewerb. Immer mehr Anbieter aus Billiglohnländern sowie Staatshandelsländer drängten auf den europäischen Markt und unterboten die Preise heimischer Unternehmen. Zunächst gab es durch das Welttextilabkommen eine Quotenregelung, die aber schon längst ausgelaufen ist. Das war und ist für die deutsche Textilindustrie in erster Linie der Grund zu rationalisieren und zu investieren. Dabei blieb manche Textilfabrik auf der Strecke.
Eine Lobby in Bonn hatte die Textilindustrie nie. Um Synergieeffekte und Kostenreduzierungen zu erzielen, war es notwendig, Betriebe zu schließen oder Produktionsstätten zusammenzulegen. Die Sorgen um die Wettbewerbsverzerrungen trug die Geschäftsleitung auch dem Bundestagspräsidenten Dr. Gerstenmaier bei seinem Besuch 1966 in Gronau vor.
Gerrit van Delden ging in die Offensive und expandierte durch den Erwerb oder Beteiligungen mehrerer Firmen aus der Textilbranche: 1965 Crefelder Baumwollspinnerei, 1966 Gebr. Laurenz in Ochtrup, 1969 Ludwig Povel & Co. in Nordhorn, 1970 Maco-Spinnerei und Zwirnerei Waleck & Co. in Wiener-Neustadt (eine Finanzbeteiligung) und ebenfalls 1970 M. van Delden & Co. in Gronau mit einer Beteiligung von 86 Prozent. Es wurden Produktionsstätten 1973 mit Gronau SA Industrias Texteis in Curitiba/Parana (Brasilien) und 1974 mit Delden Fabrics, Inc. in East Rutherford/New Jersey (USA) errichtet. Laurenz wurde 1972 mit M. van Delden fusioniert. Aus diesem Konglomerat entstand der Delden-Konzern. Die Unternehmensleitung wollte sich an den Größenordnungen in den USA messen.
Im Zeichen intensiver Integration war vor allem dies von primärer Bedeutung: Ausrichtung sämtlicher Werke auf eine einheitliche Markenartikel-Konzeption. Alle Einzelbetriebe werden selbstständig geführt, aber durch die Konzernspitze gesteuert, koordiniert. In das sechsjährige Umstrukturierungsprogramm wurden 130 Millionen Mark investiert.
Nach dem Tod von Nico van Delden verpflichteten die Gesellschafter einen nicht zur Familie gehörenden Manager als Geschäftsführer.
Das 100-jährige Bestehen der Delden-Gruppe wurde 1975 in Gronau gefeiert, wobei der Blick auch auf die nächsten 25 Jahre gerichtet wurde. „Fortschrittliches Denken und eine konsequente Wachstumspolitik haben die Delden-Gruppe in kurzer Zeit an die Spitze der europäischen Textilindustrie gebracht. Sie ist eines der expansivsten Textilunternehmen der Welt.“ Das Unternehmen produzierte 1974 37 Millionen Kilogramm Garn und 62 Millionen laufende Meter Gewebe. Der Exportanteil betrug 39 Prozent. Der Umsatz stieg von 31 Millionen DM (1950) auf 690 Millionen DM (1974). Beschäftigt wurden damals 7000 Mitarbeiter. Ziel war es, den Umsatz bis zum Jahr 2000 überdurchschnittlich zu steigern. Angestrebt wurde ein Volumen von 1 Milliarde DM.
Gerrit van Delden stiftete aus Anlass des Jubiläums der Stadt Gronau einen Musikpavillon, den das Unternehmen im Stadtpark errichten ließ. Die bestehende betriebliche Altersversorgung wurde ergänzt: Die gesetzliche Rente sollte durch einen Zuschuss auf 70 Prozent des letzten Einkommens aufgestockt werden. Es gab schon einen Studienfonds für junge Gronauer mit einem Stiftungskapital von 250 000 DM, das durch Spenden von Geschäftsfreunden sogar noch weiter erhöht wurde.
Die Frage bleibt offen, ob es sinnvoll war, sich auf Großfertigungen zu konzentrieren. Die Textilindustrie war immer dem Modewandel unterworfen und musste flexibel auf die Kundenwünsche reagieren. 1975 und 1976 wurden für die Textilindustrie zu schweren Krisenjahren. Ursachen waren Konjunktureinbrüche im In- und Ausland, zusätzliche Nachfragedämpfung, überhöhte Lagerbestände, der enorme Importdruck und dadurch ein Preisverfall bei erhöhten Kosten. Die Umsätze und Erträge brachen ein.
Ende Dezember 1975 wurden in der Gruppe noch 6655 Mitarbeiter beschäftigt. Der Umsatz betrug in diesem Jahr 750 Millionen DM. 1976 und 1977 quollen in Gronau und Nordhorn Fertigwarenlager von unverkäuflicher Massenware über. Ende 1977 wurde der familienfremde Geschäftsführer von seinen Aufgaben entbunden.
Viel zu spät reagierten die Gronauer auf die Wiederentdeckung der Baumwolle. Es häuften sich Verluste in allen Bereichen der Gruppe. Mittlerweile war die Not so groß, dass das Unternehmen die politisch Verantwortlichen in Düsseldorf um Unterstützung bat. Für den Gesamtkonzern wurde 1978, auch auf Drängen der Landesregierung, ein Sanierungsplan entwickelt. NRW gewährte Landesbürgschaften in Höhe von 45 Millionen (Juni) und 40 Millionen DM (Oktober). Mit dieser Hilfe sollte ein Zusammenbruch verhindert werden. Der Konzern verkaufte 1978 das Werk in USA. 1979 wurde Povel in Nordhorn liquidiert, weil sich kein Interessent fand, frisches Kapital einzubringen. Die in Anspruch genommene Bürgschaft des Landes Niedersachsen in Höhe von 20 Millionen DM wurde zurückgezahlt. Für den Textilbetrieb in Brasilien gab es ab 1979 nur noch eine Minderheitsbeteiligung. Werkswohnungen und Grundstücke in Gronau, Ochtrup und Nordhorn wurden verkauft. 1980 schrumpfte der Umsatz auf 330 Millionen DM.
Über die Entwicklung der Delden-Gruppe berichteten die örtlichen und überregionalen Medien. So informierten die „Westfälischen Nachrichten“ in der Ausgabe vom 22.12.1980: „In nur einem Jahrzehnt erlebten die beiden traditionsreichsten Gronauer Textilunternehmen den größten Erfolg und das tiefste Tal ihrer Geschichte.“ 1981 waren 1049 Arbeitnehmer bei GvD, 569 bei MvD, 482 bei Eilermark und 50 bei GvD-Papierdruck beschäftigt.
Es drohte ein Zusammenbruch der Firmen Gerrit van Delden (GvD) und M. van Delden (MvD). Eine Rettung der GvD erhoffte man sich 1981 von der Übernahme durch die Eilermark AG. Damit sollten 750 Arbeitsplätze gesichert werden. Im Oktober 1981 wurde das Werk Ochtrup an die größte griechische Textilgruppe Piraiki-Patreiki AG verkauft. Ihr Werk in Freyung verkaufte die Eilermark AG im Mai 1982 an die Textilwerke Deggendorf. Auf der Suche nach Interessenten für die MvD-Nassdruckerei bot sich ein Hausmodell (Übernahme durch leitende Mitarbeiter) oder die Neugründung durch zwei externe Gesellschafter an, die am 15. August 1982 den Zuschlag bekamen. Sie gründeten die „Neue Stoffdruckerei Gronau“, die allerdings am 18. September 1982 wieder aufgehoben wurde; Kommentar: „Die Ehe hat nicht gepasst.“ Auch eine Textilgruppe aus Südafrika war 1982 zeitweise im Gespräch für Übernahmen in Gronau.
Mitten in der Finanzkrise starb Dipl.-Ing. Gerrit van Delden, Enkelsohn des Firmengründers, am 26. März 1981 im Alter von 82 Jahren.
Alle Bemühungen, dem Niedergang des Unternehmens zu entgehen, blieben erfolglos. Spekulationen um Übernahmen geisterten immer wieder durch die Presse. Die Kreditgeber drängten schließlich auf einen Vergleich. Ein Vergleichsantrag wurde am 14. September 1982 gestellt, aber mangels Masse abgelehnt. Es folgte das Anschlussinsolvenzverfahren am 10. Oktober 1982.
Das war das endgültige Aus für die Delden-Gruppe und für die Beschäftigten. Die Arbeitslosenquote betrug 1982 für Gronau fast 20 Prozent.
Sicher hat es in dem Unternehmen auch Managementfehler gegeben. Das Grundübel lag und liegt auch heute noch darin, dass der europäische textile Markt von billig anbietenden ausländischen Konkurrenten überschwemmt wird. Bezeichnend für die deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie ist, dass es derzeit nur noch 120 000 Beschäftigte gibt.
Die Gründerfamilien mit den Brüdern Mathieu und Gerrit van Delden haben den Grundstein für die Entwicklung Gronaus gelegt. Über hundert Jahre standen tausende Mitarbeiter in Arbeit und Lohn. Als persönlich haftende Gesellschafter verloren ihre Nachkomme das gesamte Betriebs- und einen erheblichen Teil ihres Privatvermögens.
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