Appelhülsener sammeln Spenden für Kinder in der Türkei
Wo Ablenkung ist, ist Normalität
Appelhülsen
In Hatay in der Türkei fehlt es nach den verheerenden Erdbeben an allem. Eine Helfergruppe aus Appelhülsen will vor allem Kindern in ihrem Alltag helfen. Schon bald sollen sie wieder in die Schule gehen können.
„Die Menschen merken langsam, wo sie stehen“, so berichtet Vural Bahceci aus Appelhülsen von dem Besuch in seinem türkischen Heimatort Hatay. Nachdem er dort zehn Tage lang seine Verwandten und Freunde unterstützt hat, sieht man ihm die Betroffenheit über das Erlebte sichtlich an. Mit einer Spendenaktion wollen er, seine Frau Laura Bahceci und ihr gemeinsamer Freund Carsten Schröder vor Ort langfristig Hilfe leisten.
Aktuell bestimmen Trauma und Verlust den Alltag der Anwohner. „Wenn man Menschen trifft, dann lautet die erste Frage immer‚ ,Haben Sie jemanden verloren?‘“, erzählt Bahceci und fügt noch hinzu: „Was auch sonst?“
Nach den ersten Wochen des bloßen Überlebens werden nun aber die langfristigen Folgen der Katastrophe in den Blick genommen, berichtet der 40-jährige. Seine persönliche Bilanz: Es fehlt an allem. Die Infrastruktur sei zerstört, Hygiene kaum möglich, und viel zu viele Menschen hätten nicht einmal ein Zelt, um darin Unterschlupf zu finden. Von den Gebäuden, die noch stehen, müssten gut 90 Prozent abgerissen werden, weil sie zu stark beschädigt sind. „An Normalität ist gerade nicht zu denken“, fasst er seine Eindrücke zusammen.
Aber es ist Normalität, die die drei Helfer den Menschen vor Ort ermöglichen wollen. Wo man anfängt, wenn es an allem fehlt? „Zunächst einmal bei den Schwächsten“, lautet ihre Meinung. Alle drei sind selbst Eltern und wollen zuerst den Kindern im Krisengebiet helfen. „Zuerst habe ich mich nicht getraut, nach Geld zu fragen“, gibt Bahceci zu. Als ehemaliges Ratsmitglied habe er sich schließlich doch an Bürgermeister Dietmar Thönnes gewendet.
Die Schule bietet Ablenkung von der Katastrophe
Noch am selben Tag kam ein Treffen mit der Nottulner Friedensinitiative zustande. Diese stellt nun ein Spendenkonto zur Verfügung, auf das Geld für die Türkei eingezahlt werden kann. Alle Spenden sind zweckgebunden für Projekte wie den Aufbau von Kindergärten und Schulen sowie die Beschaffung von Unterrichtsmaterialien. Denn am 27. März soll der Schulbetrieb in der Türkei offiziell wieder aufgenommen werden. Vural Bahceci ist selbst Lehrer und weiß, wie wichtig das Schulleben für die Kinder ist; auch um sich von der Katastrophe abzulenken. „Die Kinder brauchen Ablenkung. Wo Ablenkung ist, da ist auch Normalität“
Nur wenig sei hierzulande darüber bekannt, wie dramatisch die Situation vor Ort aktuell ist. „In den Medien hören wir immer die guten Nachrichten, wenn ein Kind gerettet wird. Aber für das Kind, ist das kein guter Tag, denn es hat womöglich seine ganze Familie verloren.“ Ein Teil des gespendeten Geldes soll deshalb auch in die Unterstützung von Waisenkindern investiert werden, fügt Carsten Schröder hinzu.
Was den drei Appelhülsenern wichtig ist: Transparenz. Die Spender sollen wissen, dass das gespendete Geld in Hatay ankommt. Auf ihren Social-Media-Kanälen will Laura Bahceci darum regelmäßig über den Stand der Hilfsprojekte informieren. „Wer 100 Euro spendet, soll wissen, dass 100 Euro bei einem Kind ankommen“, betont ihr Ehemann.
Es wird lange dauern, bis Normalität einkehrt
Bei dem ersten geplanten Projekt steht die Ablenkung im Vordergrund. „Die Idee eines Spielplatzes finde ich klasse. So wie hier in den Grundschulen gibt es die in der Türkei noch gar nicht“, erklärt Bahceci. In den kommenden Monaten wird er häufiger in das Land fliegen und schauen, wo geholfen werden kann. In den Sommerferien wird Laura ihn begleiten. Beide spüren den Verlust der Stadt und wissen auch, dass die Lage dort weiterhin schwierig sein wird. Als er einen Ausblick wagen will, wird Vural Bahceci nachdenklich. „Bis wieder Normalität einkehrt, wird es lange dauern. Wie lange? Ich weiß es nicht.“