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100 Jahre Strom in Ottmarsbocholt
Ottmarsbocholt. Nicht allein Kerzen sorgen in der Pfarrkirche St. Urban für stimmungsvolles Licht. Seit genau 100 Jahren erhellen auch elektrische Lampen das Gotteshaus. Denn das eigenständige Dorf Ottmarsbocholt war kurz nach der Jahrhundertwende ein Vorreiter der Elektrifizierung. So ist in der Schriftenreihe „Geschichte und Geschichten“ des Heimatvereins Ottmarsbocholt Folgendes nachzulesen:
„In den Jahren 1906 und 1907 wurde des Öfteren über verschiedene Energieversorgungsmöglichkeiten gesprochen, wenn der Mühlenbesitzer Franz Kasberg und der Auktionator Franz Bette mal zusammentrafen. Letzterer war der Sohn des Lehrers Bette, der auch Posthalter war. Franz Bette war ein sehr fortschrittlich denkender Mann. Lehrer Schneider erzählte von ihm: „Wenn Franz Bette sich für was interessierte, dann hatte der Tag und Nacht keine Ruhe. Wenn der jeden Morgen in der Kirche war, dann wusste man, der hat irgendetwas vor.” Franz Bette hatte zu dieser Zeit schon die Telegrafenstelle inne. Franz Kasberg betrieb seine Mühle und Sägerei mit einer Dampfmaschine, deren Kraft über eine Transmission die vielen anderen Maschinen und Geräte antrieb. Diese Dampfmaschine ist der Grundstock zur Elektrifizierung unseres Dorfes geworden.“
Zu dieser Zeit wurden Ottmarsbocholt und Senden in Personalunion von dem Amtmann Eickhoff verwaltet. In Senden schaffte man sich gemeinsames Licht an, über Karbid. Das fand dort großen Anklang. Nun schlug der Amtmann das auch für Ottmarsbocholt vor. Franz Kasberg und Anton Droste waren im Gemeinderat, sie sagten sich: Was uns die Sendener da vormachen, das wollen wir nicht nachmachen, das soll ja manchmal eine Schmiererei sein. Man wurde sich einig und entschied sich für elektrisches Licht.
Nachdem Kasberg bereits mit dem Bau der Anlage begonnen hatte, schlossen er und Franz Bette vor dem Königlichen Notar, Justizrat Emil Terfloth in Lüdinghausen einen Gesellschaftsvertrag. Die Firma Ch. Michely, Legden, wurde mit der Erstellung der Anlage beauftragt. Pläne wurden skizziert, Genehmigungen eingeholt und Verträge geschlossen. Der Kreisausschuss erteilte gegen eine jährliche Gebühr von 36 Mark am 6. November 1908 die jederzeit widerrufliche Genehmigung „zur Benutzung der Kreisstraße in der Lage von 1200 Metern zwecks Anlegung einer Starkstromleitung“. Mit der Gemeinde Ottmarsbocholt wurde ein Vertrag über die Straßenbeleuchtung geschlossen: „Es waren 15 Stück mit einer Stärke von 25 Normalkerzen (fast identisch mit dem heutigen Watt)“.
1908 wurden die ersten Masten gesetzt und Leitungen gezogen. Bei Kasberg wurde die Zentrale ausgebaut, der Dynamo und die Batterien angeschlossen. Wenn kein Bedarf bestand – zum Beispiel nachts – wurde der Strom aus den gespeisten Batterien entnommen, damit nicht ständig der Kessel der 30 PS starken Dampfmaschine geheizt werden musste. Ab Februar 1909 wurde Strom an alle Haushalte in Ottmarsbocholt geliefert.
Bis in das Jahr 1924 lieferte das Werk Kasberg die Energie für das Dorf. Die Inflation machte dem Besitzer in dieser Zeit arg zu schaffen. „Sicherlich war dies ein Grund, die Stromversorgung an das Werk Westfalen abzutreten“, heißt es in der Schrift des Heimatvereins. Hiernach wurde die „Elektrizitäts-Interessenschaft Ottmarsbocholt-Dorf“ gegründet, die sich 1950 auflöste und ihre Rechte an die Vereinigten Elektrizitätswerke Westfalen übergab,
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