Interview
Nonne Maria als Vorbild
Genüsslich zieht Reinhold Hemker die Banane aus der Fleecejacke, befreit die dampfenden Füße aus den Radschuhen, lässt sich nieder am Redaktionstisch. Eine kleine Trainingseinheit von Elte über Burgsteinfurt nach Greven liegt hinter ihm. Leichtes Transpirieren bei einem Puls von 130. 70 Jahre ist der Pfarrer und ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete, der sich in den nächsten Wochen der herausragenden sportlichen Aufgabe stellen wird. Zum sechsten Mal will er am 10. Oktober am Ironman in Hawaii, der Weltmeisterschaft in dieser Ausdauerdisziplin, teilnehmen. Doch zunächst einmal geht es Ende März via FMO zur Quali ins südafrikanische Port Elisabeth. Über Sinn und Unsinn dieser außergewöhnlichen Herausforderung sprach Lokalchef Ulrich Reske mit Eisenmann Hemker.
Die Banane bringt Sie wieder nach vorne?
Reinhold Hemker: Ein bisschen nachfüttern, Kalorien. Die Banane gehört zu allen großen Triathlonkämpfen dazu. Sie ist ein Lebensmittel, das man schnell verdaut. Immer in Kombination mit viel Flüssigkeit.
Und was hat man sonst dabei?
Hemker: Wasser mit Magnesium und Kalzium. Bei den großen Wettkämpfen verbraucht man 12 000 bis 15 000 Kalorien.
Futtert Ihr da auch ganz viel Pasta?
Hemker: Entscheidend ist eine ausgewogene, gesunde Ernährung, regelmäßig und nicht zu viel.
Viele sagen, Sport ist Mord – und dann machen Sie mit 70 Jahren den Ironman, geht das nicht auf die alten Knochen?
Hemker: Dieser Ausspruch von Churchill ist der dümmste, den je jemand gemacht hat, der in einer solchen Position ist. Es geht doch nicht darum, Super-Leistungssport zu machen, über die Grenzen zu gehen. Es geht darum, Bewegung zu organisieren.
Aber Sie gehen doch offensichtlich an bzw. über die Grenzen bei dieser Extremsportart?
Hemker: Es geht darum zu begreifen, dass der Weg das Ziel ist. Nein, ich gehe nicht an die Grenze, sondern versuche Langzeitausdauer zu erhalten oder, wie bei mir, nach Krankheit wieder herzustellen.
Diesen Triathlon – 3,8 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer radeln und 42,195 Kilometer laufen – wollen Sie in 14 Stunden absolvieren. Ist das wirklich gesund für einen Körper?
Hemker: Wir rennen ja nicht gegen die Wand. Das ist eine Langausdauer-Sportart in einer gesunden und sehr vernünftigen Kombination von Schwimmen, Radfahren und Laufen.
Sie bleiben da immer im aerobischen Bereich?
Hemker: Ja, Sprinter, die 500 oder 800 Meter machen, das ist gegen die Wand rennen, anaerobisch. Die fallen dann um. Auch beim Biathlon ist das so. Wir, die wir die Langausdauertrainings machen, können nur über lange Zeit im mittleren Bereich bleiben. Man muss lernen, den Puls zu spüren: 130, 135, das geht.
Sie haben das im Griff?
Hemker: Bevor man so etwas macht, geht man in das Institut für Sport und testet die Grenzen aus. Die liegen bei mir immer noch bei 180 bei einer entsprechenden Wattleistung. 130 ist auf Dauer okay. Und das muss man dann im Griff haben.
Wie lange braucht man, um seinen Körper auf ein solches Event vorzubereiten. Ein halbes Leben?
Hemker: Ich nenne mal das Beispiel des Vizeweltmeisters in der Klasse 75, das ist ein Frankfurter. Der hat immer gesund gelebt. Und irgendwann mit 69 Jahren gesagt: Das wäre doch was für mich. Nach sechs Jahren war er Vize-Weltmeister. Entscheidend ist der Lebenswandel. Bei vielen in meinem Alter beobachte ich: Rente und jetzt will ich was vom Leben haben. Die haben dann ganz schnell zehn, 20, 25 Prozent Übergewicht.
Oh je, das könnte mir ja auch noch blühen. Wie groß ist denn überhaupt die Konkurrenz in Ihrer Altersklasse?
Hemker: Wir erfahren es leider nicht. Im vergangenen Jahr sind in dieser Altersklasse etwa 300 an den Start gegangen. In meiner Altersklasse muss man Sieger sein. Etwa 20 können dann beim Ironman starten.
Die kommen aus aller Herren Länder?
Hemker: Ja, die Qualifikationen sind im ersten Teil des Jahres auf der südlichen Halbkugel: Afrika, Neuseeland, Brasilien, China, Malaysia. Danach beginnen die Starts auf der Nordhalbkugel.
Das klingt ja fast elitärer, zumindest teurer als das Golfen. Mal eben zur Quali nach Südafrika oder Florida, dann die WM in Hawaii. Das kann sich doch nur leisten, wer finanziell gut gebettet ist?
Hemker: Nein, das sind Leute, die sparen dafür. Der Lebensstil ist sehr einfach. Andere gehen abends in die Lokale und geben 200, 300 Euro für Essen und Trinken aus. Das findet bei uns nicht statt. Unser einfaches Mahl bereiten meine Frau und ich selber vor.
Man muss aber schon viel Geld aufbringen?
Hemker: Andere fliegen auch nach Südafrika oder Namibia. Wir machen das eben in Verbindung mit dem Sport. Es kommt auf den Lebensstil an. Da muss man ein wenig bescheiden sein.
Wollen Sie sich damit etwas beweisen oder hat das für Sie auch eine gesellschaftspolitische Dimension?
Hemker: Viele Jahre habe ich als Abgeordneter für ein Gesundheitspräventionsgesetz gearbeitet. Wir hatten das 2005 im Bundestag durch, aber die Mehrheit im Bundesrat hat es kaputt gemacht. Es gab noch einen zweiten Versuch während der großen Koalition. Dabei habe ich eine Erfahrung gemacht. Es gibt ganz viele Lobbyisten großer Konzerne und Verbände, die das nicht wollen und Sand ins Getriebe schütten. Ein Skandal.
Wer verhindert das konkret?
Hemker: Die großen Pharmakonzerne haben kein Interesse daran. Wenn Leute krank sind, kann man Medikamente verkaufen. Und es gibt zudem zwei führende Gesundheitspolitiker als Lobbyisten: Herr Bahr, der ist eingekauft von einer großen Versicherung – und eine andere, die ehemalige Gesundheitsministerin Andrea Fischer, ist heute beim Bundesverband der deutschen Pharmaindustrie. Da könnte ich noch ein paar nennen. Mich würden die nie einstellen.
Wie hoch ist denn überhaupt Ihr Trainingsaufwand?
Hemker: Seit einem Jahr etwa schwimme ich in der Woche so sechs oder sieben Kilometer. Auf dem Rad 400 Kilometer, davon einmal die Woche 100 und eine ähnliche Aufteilung gibt es beim Laufen. Rund 20 Stunden in mäßiger Geschwindigkeit.
Quälen Sie sich richtig?
Hemker: Nein, grundsätzlich nicht. Schwimmen mach´ ich gern mit meiner Frau, bei längeren Laufstrecken fährt sie mit dem Rad nebenher. Die langen Radstrecken sind auch interessant. Da fährt sie mit dem Rennrad und ich nehme dann ein schweres Rad.
Was fällt Ihnen bei diesen drei Disziplinen besonders schwer?
Hemker: Im Hallenbad die langen Strecken.
Das Kachelzählen?
Hemker: Oh ja, hin und her. Insofern mache ich gerne im Winter gymnastische Übungen, die gleichwertig sind.
Das ist also nicht ihr letzter großer sportlicher Fortschritt. Altersklasse 75, 80, 85 . . .
Hemker: Ich habe ein großes Vorbild: Maria Madonna Buder, eine Nonne aus Chicago. Die habe ich gesehen, als sie gerade 80 geworden war. Da hatte sie die Kurzstrecken-WM und die Langstrecken-WM gewonnen. Die kriegte Krebs mit 56 und der Arzt sagte ihr: Sister, laufen Sie dem Krebs weg. Und mit 65 war Sie dann zum ersten Mal auf dem Treppchen als Iron-Woman.
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