Heuerhäuser im Münsterland
Vom Schandfleck zum Traumhaus
Greven
Heuerhäuser waren einst die Behausungen der bäuerlichen Unterschicht, schlecht gebaut und ungesund. Viele von ihnen wurden abgerissen, aber aus einigen sind wahre Traumhäuser geworden. Ein Bildband dokumentiert jetzt diesen Wandel.
Ältere Münsterländer kennen sie noch, denn überall im ländlichen Außenbereich fand man sie: Aufgegebene Heuerlingshäuser, die Wind und Wetter überlassen worden waren und langsam verfielen. Aufgrund ihrer einfachen, möglichst kostengünstigen Bauweise galten sie schon, als sie noch bewohnt wurden, vielfach als dörfliche „Schandflecken“. Aber das hat sich geändert.
Nachdem sie verlassen worden waren, zahlten Kreise und Kommunen sogar Abbruchprämien, um sie schnell verschwinden zu lassen. Häufig nutzte sie die dörfliche Feuerwehr, um das kontrollierte Abbrennen zu üben.
Doch wer heute durch den Nordwesten fährt, erkennt die letzten verbliebenen Heuerlingskotten nicht wieder. Meist abseits vielbefahrener Wege haben kreative Menschen mit viel Liebe zum Detail in unzähligen Arbeitsstunden eine Reihe dieser Kotten für die Gegenwart bewahrt und daraus jeweils ein ganz individuelles Traumhaus – für sich oder für die Öffentlichkeit – geschaffen.
Der Grevener Historiker Dr. Helmut Lensing und der Emsländer Bernd Robben, die schon ein mehrfach aufgelegtes Buch über das Heuerlingswesen publiziert haben, holten sich für ihr neues Buchprojekt den Fotografen Martin Skibicki und den Maler Georg Strodt mit ins Boot. „Prunkvolle Adelssitze oder standesstolze Bauernhäuser sind vielfach in Bildbänden porträtiert worden, nie aber die Behausungen der ländlichen Unterschicht im Raum zwischen niederländischer Grenze und Ostwestfalen-Lippe, so dass hier Neuland betreten wird“, skizzieren die Autoren ihr Projekt.
Mit kurzen Textinformationen und über 800 farbigen Fotos von Haus und Hof zeigen sie, wie sich die früher einfachsten Behausungen der Heuerleute, in weiten Teilen Westfalens auch Kötter oder Einlieger genannt, inzwischen zu traumhaft schönen Landhäusern gewandelt haben. Die Bilder bieten viele Gestaltungsideen für Haus und Hof. Gerade im nördlichen Kreis Steinfurt sind noch verhältnismäßig viele dieser Kotten erhalten geblieben, so dass der Kreis im Band stark vertreten ist.
Doch auch die Nutzung ehemaliger Kotten für die Allgemeinheit wird hier – etwa im Fall Mettingen – thematisiert. Der gehobene Wohnkomfort der heutigen Bewohner steht allerdings in einem starken Kontrast zum Leben der ursprünglichen Bewohner. Diesen Aspekt klammern die Autoren bei allen idyllischen Fotos keineswegs aus, weder im Bild noch im Text. Es findet sich dort eine Reihe kurzer Fachaufsätze zum Thema „Heuerhäuser“ und „Leben im Heuerhaus“. Sie reichen von der damaligen Bauweise von Heuerhäusern, dem Baurecht im Außenbereich, dem Leben von Heuerlingsfrauen und -mädchen, dem kargen und gesundheitsschädlichen Leben in den engen und kalten Häusern bis zu den Streitigkeiten zwischen Bauern und Heuerlingen über deren Behausungen.
Die Autoren dieser Aufsätze sind renommierte Fachleute, etwa Dr. Christiane Cantauw von der Volkskundlichen Kommission für Westfalen, der Fachmann für historische Bauten, Dr. Heinrich Stiewe vom Freilichtmuseum Detmold, Dr. Lutz Volmer vom Bauernhausmuseum Bielefeld, Dr. Christof Spannhoff vom Institut für vergleichende Städtegeschichte in Münster und der Jurist Dr. Bernd H. Schulte aus Bielefeld.
Zwei Grevener, der Historiker Dr. Helmut Lensing und der Mediziner Dr. Heinrich Wübbels, haben gemeinsam einen Aufsatz über typische Heuerlingskrankheiten wie die Tuberkulose, seinerzeit als „Schwindsucht“ bekannt, verfasst, da gerade die ländliche Unterschicht aufgrund ihrer spezifischen Wohn- und Lebenssituation unter einigen Krankheiten besonders zu leiden hatten.
Zum Thema
Das 332seitige Werk „Heuerhäuser im Wandel – Vom ärmlichen Kotten zum individuellen Traumhaus“ aus dem Verlag der Studiengesellschaft für Emsländische Regionalgeschichte (ISBN 978-3-9818393-2-6) ist im Buchhandel für 29,90 Euro erhältlich.
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