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Interview

„Windenergie steht wie eine Ideologie über allem“

Windkraft ja oder nein? Prof. Dr. Werner Mathys (aktiv in der BI Gegenwind) ist durchaus für Windkraft, aber eben in Maßen, wie er im Interview verdeutlicht.

Peter Beckmann

Prof. Dr. Werner Mathys ist in der Bürgerinitiative Gegenwind – Windkraft mit Vernunft“ aktiv und hatte auch beruflich als Leiter des Bereichs Umwelthygiene und Umweltmedizin am Institut für Hygiene in Münster mit Windkraft zu tun. Foto: pf

GrevenDie Vorgeschichte ist lang. Es geht um 16 Windräder, jedes von ihnen inklusive Rotor 230 Meter hoch. Die „Bürgerwind Greven GmbH“ will sie bauen. Zunächst sollten sie auf so genannten Konzentrationsflächen gebaut werden, die im noch zu beschließenden Flächennutzungsplan in Guntrup/Bockholt und am Vosskotten ausgewiesen werden sollten. Doch dann sollte sogar die einzige Konzentrationsfläche am Vosskotten, die im alten Flächennutzungsplan (FNP) von 2003 (aktualisiert 2006) ausgewiesen war, aufgehoben werden.

Konsequenz: Jedes Windrad, das auf Grevener Gebiet gebaut werden sollte, müsste einzeln vom Kreis genehmigt werden, die Stadt hätte kein Mitspracherecht mehr. Dagegen regte sich heftiger Protest, die Politik schloss sich dem an und will nun einen FNP aufstellen, in dem Konzentrationsflächen ausgewiesen werden. Die Anwälte der Windbauern behaupten aber, dass der momentan gültige FNP von 2003 aufgrund von Verfahrensfehlern gar nicht gültig sei, also alle beantragten Windräder vom Kreis genehmigt werden müssten.

Zu dieser verzwickten Situation ein Gespräch mit Prof. Dr. Werner Mathys, einem der Sprecher der BI „Gegenwind – Windkraft mit Vernunft“.

Jahrelang planten die Mitglieder der Bürgerwind Greven GmbH den Bau von Windanlagen. Nie war etwas von Protesten zu hören. Jetzt auf einmal regt sich erheblicher Widerstand. Was ist passiert?

Prof. Dr. Werner Mathys: Ich glaube, das ist mehr eine grundsätzliche Bewegung, die sich in ganz Deutschland formiert hat. Es wird in Sachen regenerativer Energie, insbesondere der Windenergie, einfach in Deutschland des Guten zu viel gemacht. Dazu kommt, dass die Windanlagen immer größer, immer mächtiger werden. Früher wurde über 100 Meter gesprochen, mittlerweile sind die Anlagen 230 Meter hoch, ja es wird sogar schon von 250 Metern gesprochen. Und damit werden die Anlagen auch immer bedrohlicher: für die Natur, die Umwelt, die Gesundheit der Menschen. Bei vielen gibt es natürlich erst Widerstand dagegen, wenn sie unmittelbar betroffen sind, das muss man fairerweise sagen.

Was haben Sie eigentlich gegen Windenergie? Das ist regenerative Energie und damit doch wohl auch gut für die Umwelt, oder?

Mathys: Wir sind für einen vernünftigen Umgang mit der Windenergie. Wir sind dagegen, dass Windenergie wie eine Ideologie über alles gestellt wird – über den Landschaftsschutz, über den Naturschutz, über den Schutz der Menschen. Wir wollen einen vernünftigen Mix von regenerativen Energien und von anderen modernen Energieformen, die leider, aufgrund der fast ausschließlichen Förderung der Windenergie, hinten runter fallen. Da nenne ich zum Beispiel die Gas- und Dampf-Kraftwerke (GuD).

Es geht Ihnen also mehr um eine grundsätzliche Ablehnung der Umsetzung der Energiewende?

Mathys: Bestimmte Formen diese Energiewende, wie die Windkraft, sind letztendlich häufig ein brutales, rücksichtsloses Vorgehen dem Landschaftsschutz gegenüber und zerstören unwiederbringlich Jahrhunderte alte Kulturgüter. Hier werden politische Ziele über alles andere gesetzt. Und damit haben wir Bauchschmerzen.

In der Öffentlichkeit wird von der BI Gegenwind ein Horrorszenario dargestellt, dass ohne Konzentrationsflächen fast überall im Stadtgebiet Windkraftanlagen gebaut werden könnten. Die Windbauern sagen, dass das Quatsch ist, sagen, dass auch ohne Konzentrationsflächen Windkraftanlagen nur in diesen Gebieten gebaut werden könnten.

Mathys: Der Behauptung der Windbauern möchte ich ganz energisch widersprechen. Die zur Verfügung stehenden Flächen wurden im Entwurf des Flächennutzungsplans künstlich verarmt, weil weiche und harteTabuzonen unzulässig vermischt wurden. Da ist auch die Abwägung nicht richtig erfolgt. Aber ganz abgesehen davon: Werden diese Konzentrationsflächen nicht im FNP ausgewiesen, entfällt auch die Steuerungsfunktion der Politik komplett.

Also sind die Konzentrationszonen das, was Sie fordern?

Mathys: Ich bin generell der Meinung, dass die kleinräumige Verteilung nicht günstig ist. Es gibt einen Regionalplan Münsterland. Da sieht man, dass man die Vorrangzonen so festgesetzt hat, um der Verspargelung des Münsterlandes vorzubeugen. Aber diese Empfehlungen des Regionalplans werden praktisch nicht umgesetzt. Und so kommt es dazu, dass die Kommunen immer an den Randbereich planen. Und dort treffen sich dann zwei Kommunen und aus einem Windpark wird dann plötzlich eine große Windfarm.

Zum Beispiel im Grenzbereich am Vosskotten zu Münster . . .

Mathys: Genau da zum Beispiel. Für mich ist es eine ganz schlechte Entwicklung, dass hier nicht überregional geplant wird, ja sogar Länder übergreifend eine vernünftige Planung stattfindet, um das Ganze in einen vernünftigen Rahmen zu bringen.

Noch mal zurück zum Begriff Verspargelung: Ein Atomkraftwerk ist ja auch nicht gerade ein wunderschöner Anblick . . .

Mathys: Das ist ja nicht die Alternative. Da ist von einem GuD-Kraftwerk mit Wärmekopplung mit einer sehr hohen Effizienz von 80 Prozent die Rede. Gerade damit kann man sehr effektiv COvermeiden, bei einem wesentlich geringeren Flächenbedarf.

Die Politik hat sich für einen Flächennutzungsplan mit Konzentrationszonen entschieden. Die Windbauern der GmbH und auch die Pamina Windpark GmbH, in deren Besitz eine Anlage am Vosskotten ist, die höher gebaut werden soll, haben jetzt Anwälte eingeschaltet, die den FNP als unwirksam darstellen. Sie hatten jetzt Kontakt mit der Stadt. Was sagt man dort?

Mathys: Wir sind mittlerweile von der Stadt ausführlich informiert worden. Das hat auch viel Druck aus der ganzen Angelegenheit heraus genommen. In der Bevölkerung gab es ja sehr viel Unmut, da wurde beklagt, dass es keine Informationen gibt. Aber wie gesagt: Das läuft jetzt sehr kooperativ und sachlich. Die Stadt steht im übrigen auf dem Standpunkt, dass der FNP von 2003 immer noch gültig ist. Da steht die Stadt auch im engen Kontakt mit dem Kreis Steinfurt. Auch ich persönlich kann mir nicht vorstellen, dass der Stadt bei der Bekanntgabe der Flächennutzungspläne so ein Lapsus unterlaufen ist.

Sie selbst wehren sich gegen die geplanten Anlagen in Bockholt direkt vor ihrer Haustür. Hat das nicht den Geruch von St.-Florian-Prinzip?

Mathys: Grundsätzlich muss der Rat das abwägen, muss die Betroffenen anhören. Aber hier in Bockholt sollen die Anlagen in einem Landschaftsschutzgebiet gebaut werden. Da müsste der Kreis beschließen, dass diese Landschaftsschutzgebiete aufgelöst werden. Dagegen protestieren wir natürlich energisch. Am Getruden-See gibt es auch ganz erhebliche artenschutzrechtliche Bedenken.

Aber im Rahmen des Verfahrens zum geplanten Flächennutzungsplan wurden doch Gutachten erstellt . . .

Mathys: Über die Qualität der Gutachten muss ich nicht viel sagen, da hat Dr. Michael Harengerd alles zu gesagt. Die Vorgehensweise ist da in Sachen Gutachten von Grundsatz her falsch. Wenn der Auftraggeber, der interessiert ist, solche Windkraftwerke zu bauen, den Auftrag für Gutachten erteilt, ist das keine gute Idee. Da wäre es besser, dass die Behörde die Aufträge vergibt und die Kosten an die Antragsteller weiter gibt. Aber grundsätzlich muss eine Kommune auch einmal den Mut haben, Erholungsräume auszuweisen, die nicht von Windkraftwerken besetzt werden. Es fehlt einfach der Respekt vor solchen Erholungsräumen. Da müssen Windkraftanlagen eben mal dort gebaut werden, wo es bessere Standortmöglichkeiten gibt.

Was eine Kommune aber sicherlich ungern machen würde. Es geht schließlich auch um das Thema Gewerbesteuern.

Mathys: Das ist aber eine sehr schwache Motivation für die Genehmigung von Windkraftanlagen. Das kann kein Argument sein. Dann kann man auch Industriebetriebe in diesen Gebieten ansiedeln. Abgesehen davon: Windkraftwerke sind Industriebetriebe.

Aber: Mitten in der Stadt kann man die Windräder auch nicht aufbauen.

Mathys: Wir fühlen uns durch die Privilegierung des Außenbereiches entrechtet. Das ist eine Entrechtung, die in vielen Punkten schon stattfindet. Und dann treten sehr merkwürdige Dinge auf. Wenn man hier im Außenbereich einen Wintergarten anbauen möchte, dann stört das das Landschaftsbild. Aber wenn 100 Meter weiter eine 230 Meter hohe Windkraftanlage im privilegierten Bereich entsteht, dann kann die einfach gebautwerden. Das verstehen wir nicht mehr.

Sie sind Universitätsprofessor. Hat ihr Forschungsbereich eigentlich etwas mit dem Thema zu tun?

Mathys: Ich habe 35 Jahre lang den Bereich Umwelthygiene und Umweltmedizin am Institut für Hygiene in Münster geleitet. Da geht es um Wasser-, Boden- und Lufthygiene. Ein breit gefächertes Gebiet, das immer mehr an Bedeutung gewinnt. Das sieht man auch daran, dass zunehmend mehr Menschen in die Sprechstunden kommen und über Beschwerden klagen, die von den Windkraftwerken verursacht werden.

Das wäre die nächste Frage gewesen: Wenn man über Windkraft spricht, kommen häufig die Stichworte Lärm, Schattenwurf, und in den nordischen Ländern sogar Krebserkrankungen auf den Tisch . . .

Mathys: In Dänemark läuft zur Zeit eine große Studie, auf deren Ergebnis eine große Anzahl von dortigen Kommunen wartet und bis dahin keine Windkraftanlagen mehr genehmigt. Da geht es hauptsächlich um das Thema Infraschall. Das ist natürlich auch in Deutschland ein ernst zu nehmendes Problem. Das Bundesumweltamt hat 2014 einen Wuppertaler Forscher beauftragt. Da wird zunächst festgestellt, dass es da noch einen hohen Bedarf an Forschungsaktivitäten gibt. Und zum anderen wird festgestellt, dass man es nicht ausschließen kann, dass durch Infraschall gesundheitliche Schäden hervorgerufen werden können.

Aber wie soll der Schall denn wirken, wenn wir ihn nicht einmal hören können?

Mathys: Natürlich hört man den Infraschall nicht. Aber dieser Schall wirkt auf die äußeren Haarzellen im Gleichgewichtsorgan und wird deshalb auch vom Körper wahrgenommen. Es gibt eine ganze Reihe von Gesundheitsschäden, die sich darauf zurückführen lassen. Hinzu kommt natürlich, dass die ganzen Mess-Methodiken völlig veraltert sind. Wir messen heute immer noch nach der TA Lärm von 1998. Die hatte eine Bezugsgröße von 30 Metern. Da sind wir jetzt natürlich erheblich drüber. Die Modelle der Schallausbreitung, die da postuliert werden, entsprechen einfach nicht mehr den Realitäten.

Wenn Sie entscheiden dürften: Wie sähen die Windkraftanlagen aus? Wo würden sie stehen? Oder: Gäbe es diese Windkraftanlagen dann überhaupt?

Mathys: Natürlich gäbe es welche. Aber warum nicht mehr Offshore-Anlagen? Aber grundsätzlich: Bei jeder neuen Technik ist die Euphorie immer sehr groß und man vergisst gerne, dass diese Technologie auch schlechte Auswirkungen haben kann. Man muss einfach in einem vernünftigen Abwägungsprozess die Vor- und Nachteile sauber eruieren und schauen, wo man die Anlagen ohne größere Nachteile bauen kann. Es wäre wichtig, auf Bundesebene einen Konsens zu finden. Wir haben derzeit mehr als 26 000 Windräder in Deutschland – die Offshore-Anlagen nicht mitgerechnet. Geht die Tendenz so weiter, sind es bald 80 000 Windräder. Das würde bedeuten, dass man alle zwei Kilometer auf ein Windrad stößt. Das möchte ich mir nicht vorstellen.

Aber letztendlich wäre das doch für die CO-Bilanz hervorragend . . .

Mathys: Im Gegenteil. Die Windkraftwerke setzen CO-Zertifikate frei. Die werden von anderen Ländern wie beispielsweise Polen gekauft. Und dort kann dann um so mehr Kohle verbrannt werden , um Strom zu erzeugen. Wir waschen uns in Deutschland eine saubere Weste und rechts und links wird durch den Verkauf der Zertifikate mehr CO frei gesetzt. Damit wird deutlich, dass Alleingänge von einzelnen Ländern völlig wirkungslos sind. Deutschland schießt in Sachen Energiewende völlig über das Ziel hinaus. Über die Frage der Versorgungssicherheit müsste man da natürlich auch noch sprechen.

Kommen wir zurück nach Greven. Wie sieht es in der Bauerschaft Bockholt und Guntrup aus: Stehen dort alle hinter Ihren Forderungen?

Mathys: Wir sind hier leider in einer misslichen Situation, weil durch diese Diskussion die sozialen Gefüge unter einen starken Druck geraten. Da zerbrechen Freundschaften zwischen dem Für und Widerin dieser Angelegenheit. Es herrscht eine angespannte Stimmung, die mir echt Sorge bereitet. Deswegen hoffen wir alle auf eine baldige Klärung der Situation.

Werden Sie klagen, wenn sich herausstellen sollte, dass das FNP-Verfahren wirklich nicht rechtens war?

Mathys: Dann könnte erst einmal die zweite Stufe greifen. Das würde heißen, dass die Stadt Greven einen Zurückstellungsantrag stellen kann, womit die Bauanträge für die Windräder letztendlich so lange auf Eis liegen, bis letztlich ein ordentlicher Flächennutzungsplan erstellt worden ist. Und das dauert natürlich ein paar Monate. Aber sollte trotz allem eine Windkraftanlage vom Kreis Steinfurt genehmigt werden, würden wir auch eine Klage dagegen nicht scheuen. Das wäre dann die letzte Konsequenz.

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