Podiumsdiskussion der WN mit Anja Karliczek (CDU) und Jürgen Coße (SPD)
Die Abteilung Attacke hat Pause
Tecklenburger Land
Am Sonntag, 24. September, wird ein neuer Bundestag gewählt. Im Wahlkreis 128 (Steinfurt III) kämpfen acht Kandidaten um das Direktmandat. Die beiden aussichtsreichsten Bewerber, die Bundestagsabgeordneten Anja Karliczek (CDU) und Jürgen Coße (SPD), haben am Montagabend anlässlich einer von den Westfälischen Nachrichten ausgerichteten Podiumsdiskussion zu vielen politischen Fragen Position bezogen. Die Abteilung Attacke hatte dabei Pause.
Mindestlohn, Krankenkassenbeiträge, Zukunft der Neurologie in Lengerich, Flüchtlingspolitik und kommunale Finanzen – die Bundestagskandidaten Anja Karliczek (CDU) und Jürgen Coße (SPD) haben sich am Montagabend zahlreichen Fragen zu ganz unterschiedlichen Themen gestellt. In einigen Punkten stimmten die beiden Bewerber um das Direktmandat im Bundestagswahlkreis 128 überein, in den meisten vertraten sie aber unterschiedliche Positionen. Heftige Attacken gegen den politischen Gegner blieben indes aus.
Grundsätzliche Einigkeit herrschte bei der Bewertung des Mindestlohns. Karliczeks Bilanz rund drei Jahre nach Einführung der Lohnuntergrenze: „Ich kann mit dem Mindestlohn leben. Zumindest in unserer Region hat er nicht, wie anfangs befürchtet, Arbeitsplätze vernichtet.“ Konkurrent Coße geht aber noch einen Schritt weiter, indem er sich für eine weitere Erhöhung ausspricht: „Ich halte den Mindestlohn noch immer für zu gering“, sagte der SPD-Politiker, der vor rund einem Jahr in den Bundestag nachrückte. Weil, so seine Argumentation, viele Menschen trotz Arbeit nicht von ihrem Lohn leben könnten und ihr Gehalt durch Hartz-IV-Leistungen aufstocken müssten, müsse über eine Anhebung der Untergrenze nachgedacht werden. Diese war zuletzt auf 8,84 Euro pro Stunde gestiegen.
Bei der Frage zur Integration von Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt plädierte Karliczek für die Einführung von assistierten Hilfen, ähnlich dem Modell der „Assistierten Ausbildung“, bei dem benachteiligte Jugendliche eine individuelle Unterstützung erhalten. Coße sprach sich für die Errichtung eines sozialen Arbeitsmarktes aus, in dem schwer vermittelbaren Langzeitarbeitslosen – statt Hartz IV und Wohnung – ein regulärer, sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplatz finanziert wird.
Beim Thema Krankenkassenbeiträge lagen die Positionen der beiden Kontrahenten weit auseinander. Während Coße eine Rückkehr zur paritätischen Aufteilung der Lasten zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer fordert, hält Karliczek die Entscheidung, den Arbeitgeberbeitrag einzufrieren, nach wie vor für richtig. Die Rückkehr zu gleichen Teilen, konstatierte die CDU-Politikerin, ist „Augenwischerei“. Die Versicherten, davon ist sie überzeugt, würden von der aktuellen Regelung unterm Strich profitieren, weil diese den Wettbewerbsdruck unter den Kassen erhöhe und damit auch den Druck, die Beiträge niedrig zu halten.
Die Gesundheitspolitik spielte auch bei einem der lokalen Themen Rolle: Coße und Karliczek plädierten übereinstimmend und in ihrer Wortwahl sehr deutlich für einen Verbleib der Neurologie in Lengerich. Wie berichtet, will sich der Landschaftsverband von der Abteilung trennen, wo – möglicherweise Ibbenbüren – und in welcher Form sie künftig weiterexistiert, ist derzeit offenbar noch unklar.
Gleiches gilt für den Bahnhof in Lengerich. Zwar ist bekannt, dass die Bahnsteige und der Tunnel modernisiert werden sollen. Doch wann das passiert, ist bislang nicht bekanntgegeben worden. Und was das Gebäude angeht, herrscht völlige Unklarheit. Jürgen Coße kritisierte in diesem Zusammenhang, dass beim „Staatsunternehmen Bahn“ die Rendite zu sehr in den Mittelpunkt gerückt worden sei. Anja Karliczek warnte davor, einer Kommune wie Lengerich mit der Übernahme des maroden Baus finanziell zu viel aufzuladen.
Zuvor war bereits im großen Zusammenhang intensiv übers Geld gesprochen worden. Wie soll es verteilt werden zwischen Bund, Ländern und Kommunen ? Dass zuletzt aus Berlin 3,5 Milliarden Euro für die Sanierung von Schulen flossen, lobten beide Politiker. Doch während SPD-Mann Coße eine noch stärkere Unterstützung der Städte und Gemeinden durch den Bund einforderte, verwies CDU-Frau Karliczek darauf, dass die Länder dafür verantwortlich seien, diese ausreichend zu finanzieren.
Wofür Mittel gerade in ländliche Bereiche wie das Tecklenburger Land fließen müssten, wurde auch deutlich. Unter anderem in die Infrastruktur, so Jürgen Coße. Der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) sei „ein Stück weit Daseinsvorsorge“, betonte er. Chancen in diesem Bereich sieht er wie Anja Karliczek durch die Digitalisierung. Die Unions-Abgeordnete nannte als Beispiel das autonome Autofahren, das in absehbarer Zeit kommen werde. „Wir können es hinkriegen, dass wir hoch attraktiv sind“, zeigte sie sich um die Zukunft der Region wenig bange.
Kontroverser diskutiert wurden die Strategien zur Lösung der Flüchtlingskrise. Ein Thema, wie WN-Redakteur Michael Baar sagte, das viele bewegt: „Die Menschen, die zu uns kommen, fühlen sich in ihrer Heimat bedroht, fürchten um ihr Leben.“ Die Einführung einer Obergrenze, wie von der CSU gefordert, lehnen aber sowohl Coße als auch Karliczek ab. „Das Grundrecht auf Asyl kennt keine Obergrenze“, betonte die CDU-Politikerin, die sich aber zugleich für eine Einführung von Verteilerquoten innerhalb der EU stark machte. Auch zum Thema Grenzschutz vertrat die Brochterbeckerin eine dezidierte Meinung: „Wir wollen uns nicht verbarrikadieren, aber wir wollen wissen, wer zu uns ins Land kommt.“
Coße, der kürzlich zusammen mit Bundesaußenminister Sigmar Gabriel nach Uganda und in den Südsudan reiste, drängte derweil auf einen Ausbau der Flüchtlingshilfe und eine Erhöhung der Ausgaben in diesem Bereich. „Wir können die Probleme nicht in Talkshows lösen, sondern müssen vor Ort Hilfe zur Selbsthilfe leisten.“
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