Mit dem Bus auf Besuchstour bei Anja karliczek
Ich hab noch eine Blechbox in Berlin
Saerbeck
Warum wollen die alle immer nur nach oben? In den Plenarsaal, auf die Terrasse und die Kuppel hoch? Stimmt schon, der schönste Panoramablick auf die Hauptstadt eröffnet sich von hier, aber auf den unteren Etagen bis runter zum Keller verstecken sich Schätze, die es allemal zu heben lohnt: darunter der Spaten von der Grundsteinlegung 1884, Graffiti russischer Soldaten, die am 2. Mai 1945 auf dem Reichstagsdach die Sowjet-Fahne hissten und nicht zuletzt das „Archiv der Abgeordneten“ in 5000 leeren (ja: leeren), rostigen Blechschachteln.
Vier Tage lang besuchten hiesige Politikinteressierte auf Einladung von Anja Karliczek (CDU) die Hauptstadt und absolvierten ein hochgradig informatives und packendes Programm; nicht nur, weil sie dem Bundesnachrichtendienst (BND) nicht in, aber immerhin auf die Rückseite der Karten schauen durften.
Seit den Snowden-Enthüllungen stehen die Geheimdienste in der Kritik wie nie zuvor. Deshalb hat sich der BND entschlossen, aus der Schmuddelecke rauszukommen und nicht mehr ganz so geheim zu sein. Michael Willkomm erzählte den Besuchern in einem zweistündigen Vortrag, der keine Minute zu lang war, über die Arbeit des Nachrichtendiensts. Auf die Frage, was James Bond mit den BND-Agenten gemeinsam hat, sagte Willkomm: „Nichts – außer den vielen Frauengeschichten.“ Na immerhin, oder besser: donnerlittchen! Michael Willkomm ist seit mehr als 25 Jahren BND-Mitarbeiter, hat zwanzig Jahre lang selbst als Spion im Ausland gearbeitet und dabei fast ein dutzendmal seine Identität geändert: neuer Name, neuer Pass und neue – aber bei Spionen weiß man ja nie so genau.
Im Bundeskanzleramt, wenn man denn mal das Glück hat, überhaupt reinzukommen in diesen hektischen Koalitionsfindungstagen, darf man zwar nicht ins Merkelsche Büro – darauf achten ernst dreinblickende Kanzleramtsmitarbeiter wie die Hütehunde – aber man sieht den Presseraum, darf auf die Terrasse und sogar ins Kabinettszimmer, wo die Regierungsmannschaft tagt. Schicke Kunst an der Wand, gewölbte Akustikdecke, lederne Arbeitssessel, die berühmte Adenauer-Uhr und die Bundeskanzlerglocke auf dem wuchtigen ovalen Tisch: Ob das ein Ausziehtisch sei, fragt einer der Besucher in politischer Unbekümmertheit, schließlich bestünde die Jamaika-Koalition ja aus vier, oder, streng genommen, fünf Partnern. „Und wenn nicht, sagen Sie mir Bescheid“, bot der ehemalige Tischler seine Dienste an.
Anja Karliczek, die Einladende, findet tatsächlich noch ein Stündchen Zeit in ihrem vollgeschriebenen Terminkalender, erklärt ihre Arbeit und warum es ein gutes Zeichen ist, wenn im Plenarsaal nicht alle Stühle besetzt sind, antwortet geduldig auf alle Fragen und muss auch schon wieder los.
Und Christian Boltanskis Blechkästen mit den Namen aller demokratisch gewählter Abgeordneten von 1919 bis 1999 in dem nur von Kohlefadenlampen erleuchten Gang? Sie versinnbildlichen die demokratische Tradition Deutschlands. Also beim nächsten Besuch: auch mal an den Keller denken.
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