Sexualisierte Gewalt
Eine Vergewaltigung zerstörte Lauras Leben
Kreis Steinfurt
Sexualisierte Gewalt zerstörte Lauras Leben. Sie war 15 Jahre alt, als sie vergewaltigt wurde. Mit kleinen Schritten versucht sie, Selbstzweifel und Schuldgefühle zu überwinden.
Sie war 15, als „es“ ihr passierte. „Ich hasse mich. Ich ekel mich vor mir selber,“ sagt Laura, die eigentlich anders heißt, seitdem. „Es“ hat ihr Leben zerstört. Schon kurz danach wurde sie in der Schule schlechter. Doch dabei blieb es nicht.
Sie wiederholte die neunte Klasse und brach die Schule schließlich ab. Bis sie 18 war, lebte sie mehr oder weniger in einer Psychiatrie. Danach war sie regelmäßig obdachlos, nahm Drogen, hat überlegt, sich das Leben zu nehmen. Sie fing an, sich selbst zu verletzen. Ihre Arme sind mit Wunden übersät. „Und die sehen noch gut aus“, sagt sie. Ihre Mutter leidet mit ihr. Ihr Vater findet sie faul. „Der hat keine gute Meinung von mir.“
„Ich habe ziemliche Probleme mit Nähe“
Sexualisierte Gewalt zerstört Leben. So wie Lauras. Mehrmals am Tag übernehmen ihre Gewalterfahrungen die Kontrolle über sie. Experten nennen das eine „dissoziative Störung“. Dann kommen Erinnerungen hoch, die ihr Gehirn abzuspalten versucht. Laura fängt an zu zittern, bekommt Krampfanfälle, hyperventiliert, kann bewusstlos werden.
Es spricht alles dafür, dass sie nicht drogenabhängig geworden wäre, regelmäßig arbeiten ginge und ihre Tochter bei ihr lebte, wenn sie nicht sexualisierte Gewalt erlebt hätte. „Ich habe keine Ahnung, ob ich nicht doch eine Familie hätte.“ Den Wunsch hat sie mittlerweile aufgegeben. „Ich habe ziemliche Probleme mit Nähe“, sagt sie. Partner können nie wissen, wann sie sie anfassen dürfen, müssen damit rechnen, dass sie sie weggeschubst, wenn sie einen Arm um sie legen. „Nähe ist eine komplizierte Geschichte“, sagt Laura. Denn dann kehrt „es“ oft zurück.
Die Erinnerungen an ein Trauma wie ein Unfall oder eine Vergewaltigung können zersplittern wie ein Spiegel, sagt Agnes Denkler aus der Fachberatungsstelle gegen sexualisierte Gewalt im Kreis Steinfurt. Dann erinnern sich Betroffene nur noch bruchstückhaft an das, was ihnen passiert ist. Oder Bilder kommen (manchmal erst Jahre) später wieder hoch, weil die Opfer sie verdrängt und wie in eine Kapsel verpackt haben. Das kann helfen, mit dem Trauma zurechtzukommen. „Sonst könnten einige gar nicht überleben, die so schwere Gewalterfahrungen machen“, sagt Denkler. Es kann aber auch dazu führen, dass Patientinnen mit einer psychischen Erkrankung nicht verstehen, warum sie etwa eine Depression haben.
Agnes Denkler, Fachberatungsstelle gegen sexualisierte Gewalt im Kreis Steinfurt
Laura meidet Parkhäuser, Busse und Bahnen, geht nicht zu Konzerten, („obwohl ich gerne würde“), weil sie nicht weiß, ob da jemand ist, der ihr etwas antut. Die Angst ist ständig an ihrer Seite. Sie schläft sehr wenig und wenn, dann schlecht. „Ich verbringe meine Zeit lieber mit Tieren als mit Menschen“, sagt sie. Ihre beiden Hunde haben ihr geholfen, von den Drogen wegzukommen. Sie wollte nicht, dass ihre Vierbeiner so leben müssen wie die der anderen Junkies. Sie geben ihr einen Grund aufzustehen, rauszugehen, Verantwortung zu übernehmen. Ohne sie würde sie öfter im Bett herumliegen.
Bemerkenswerte Fortschritte
Inzwischen hat sich Laura stabilisiert, hat einen Führerschein gemacht, sich mit einem kleinen Job selbstständig gemacht, ist umgezogen. Agnes Denkler nennt ihre Fortschritte bemerkenswert. Laura nicht. Sie hat sich schon zu oft selbst enttäuscht. „Es wird so nicht weitergehen. Irgendwann kack ich wieder ab.“ Sie vertraut sich selbst nicht, hat die Erfahrung gemacht, dass sie auf dem wackeligen Boden, auf dem sie sich bewegt, ihre Erfolge selbst schnell zerstört. Selbstzersetzendes Verhalten wie dieses erlebt Agnes Denkler immer wieder. „Diese Gewalterfahrungen prägen ein Leben.“ Dabei sei es super, was ihre Klientin erreicht hat.
Laura gibt sich die Schuld an der Tat. „Ich denke, dass ich mich da selber reingebracht habe, also muss ich sehen, dass ich da auch wieder rauskomme. Mich hat ja keiner gezwungen.“ Doch. Spätestens an diesem Punkt widersprechen alle, die sich um Opfer von sexualisierter Gewalt kümmern. Sie betonen, dass einzig und allein die Täter Schuld an der Tat haben.
Laura hat ihren Vergewaltiger angezeigt
Laura hört das, will es aber für sich nicht annehmen. Denkler erlebt oft, dass Frauen so denken, die sexualisierte Gewalt erleben. „In einer traumatischen Situation gibt es für die Opfer keine Alternative“, erklärt sie. Hätten sie die Wahl gehabt, wären sie der Gewalt ausgewichen. Aber Laura hatte keine Wahl. Die Tat wird sie lebenslänglich begleiten.
Ihren Vergewaltiger hat sie angezeigt. Er wurde freigesprochen. Aus Mangel an Beweisen.
Weitere Informationen rund um unseren Themenschwerpunkt zu sexueller Belästigung und sexualisierter Gewalt gegen Frauen finden Sie auf unserer Special-Seite. Und unter folgendem Link steht das gesamte WN-Angebot vier Wochen kostenfrei zur Verfügung: wn.de/digitalbasis
Startseite